piwik no script img

Schlemmerfilet Manuel

Merkwürdige Zeitschriften (2): Der „Kringel“ erzählt von glücklichen Nutztieren wie Manuel, der kleinen Sau – und gibt Tipps, wie man das Viehzeug nach Ende der Freilaufzeit am besten verspeist

von ALEXANDER KÜHN

Im alten Griechenland galt Schweinsein als Strafe. So verwandelte die Zauberin Kirke die Gefährten des Odysseus in grunzende Wutzen und schlug sie mit einer Rute. Der Held selbst entging diesem Schicksal, dank eines Krauts, das Hermes ihm gegeben hatte. Odysseus überwältigte Kirke, die machte die Schweine wieder zu Männern – und hernach sollten sie noch ein Jahr lang mächtig Spaß haben mit der Zauberin.

Auch heute noch empfinden viel zu viele ihr Schweinsein als Strafe: all jene, die nicht artgerecht gehalten werden – und das sind in Deutschland an die 90 Prozent. Wutz an Wutz, dicht an dicht, werden sie eingepfercht. Weil ein Schwein angesichts solcher Platznot aggressiv wird und seinen Nachbarn das Schwänzchen abbeißt, wird dieses gleich zu Anfang abgezwickt.

Schwanzlos eingesperrt zu sein, bedeutet doppelte Demütigung. Doppelt triumphieren können dagegen jene Schweine, die auf einem Bauernhof mit dem Siegel des Neuland e. V. leben. Hinter Neuland stehen Verbände wie BUND und Tierschutzbund; bereits seit 1988 setzt sich der Verein für artgerechte Haltung ein. Erst jetzt jedoch setzt Neuland das Privileg der frei laufenden Schwanzträger gezielt für Werbung ein: Die Kundenzeitschrift der Neuland-Metzger, die sich „Das Genießermagazin“ nennt, trägt neuerdings den Namen Kringel.

Okay, Ringel wäre naheliegender gewesen, schließlich sagt man öfter „Ringelschwanz“ als „Kringelschwanz“. Und wie ist das Motto der diesjährigen Neuland-Kampagne unter Schirmherrschaft von Verbraucherministerin Renate Künast? Genau: „Artgerecht nur mit Ringelschwanz.“ Warum also nicht Ringel? Die Kringel-Macher selbst bieten in Ausgabe zwei folgende Erklärung an: „Der neue Name bezeichnet eine Besonderheit des Neuland-Schweins: Das Ringelschwänzchen.“ Ach so.

Doch ansonsten bietet Kringel durch und durch seriösen Journalismus. Nachrichten sind ein wichtiger Bestandteil einer jeden Ausgabe. Im aktuellen Heft wird, jeweils mit Foto, vermeldet: Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring besucht die Neuland-Fleischerei Hörmann in Ulm, Renate Künast einen Neuland-Bauernhof irgendwo und NRW-Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn die Grüne Woche.

Leichte Kost ist im Vergleich dazu das Genießer-Horoskop. „Das Steak nie durchbraten“, wird da dem Löwen geraten. Und dem Skorpion: Karotten essen – aber weil „zu viel Gemüse auch wieder depressiv macht, sollte neben den Karotten ein kleines Neuland-Schnitzel liegen“.

In journalistische Höhen schwingt Kringel sich mit seiner letzten Seite auf. Die letzte Seite, das wissen wir, ist ein exponierter Ort, reserviert für besondere Texte. Das gilt nicht nur für die taz. Das Zeit-Leben etwa lässt auf seiner letzten Seite einen Prominenten träumen, die SZ-Wochenendbeilage lässt Prominente irgendwas erzählen. Die letzte Seite jedes Kringels gehört Manuel. Manuel ist ein Neuland-Schwein, also eines mit viiiel Auslauf – und einem Ringelschwanz. Der Titel seiner Kolumne, höchst kreativ in Grammatik und Interpunktion: „Manuel die kleine Sau, und seine Freunde.“ Das Konzept freilich ist geklaut von den Selbstbetrachtungen des Axel Hacke im SZ-Magazin. Doch während Hacke wöchentlich aufs Neue offenbart, wie langweilig sein Leben ist, geht es bei Manuel wirklich um was.

Diesmal nämlich seitenfüllend um das Thema „Meines ist das längste“. Voll Stolz berichtet Manuel den Lesern: „Ich habe von allen mehr als 200 Schweinen, die hier leben, das schönste, dickste und kringeligste Schwänzchen. Vor allem aber – und das schafft den Neid: Mein Kringelschwänzchen ist auch das längste.“ An dieser Stelle nickt so manch männlicher Leser verständnisvoll. Und weiter: „Als ich das erste Mal die neidischen Blicke der anderen Schweine bemerkt habe, habe ich zunächst versucht, mein Kringelschwänzchen irgendwie zu verstecken. Aber das war blöd und das geht einfach nicht.“ Am Ende wagt Manuel einen Blick in die Zukunft: Er mache jetzt Karriere, schreibt er. Sein Bauer habe ihn zur Landwirtschaftsausstellung angemeldet. „Und danach geh ich zum Zirkus.“

Zwiebelbegleitung

Solch einen Aufstieg wünschen wir ihm freilich alle, unserem Manuel, und zwar von Herzen. Wir fürchten aber, dass das Szenario auf Seite 8 des aktuellen Kringels realistischer ist. Manuel könnte auch so enden – oder zumindest 800 Gramm von ihm: in Begleitung von 160 Gramm Champignons, einer kleinen Zwiebel, 20 Gramm Speck und einem Bund Petersilie. Denn auch das Leben eines Neuland-Schweins kennt nur drei Ziele: gefressen, verdaut und ausgeschieden zu werden. Immerhin: Für eine knappe Stunde trüge Manuel dann den Künstlernamen „Schlemmerfilet Wellington“. Nur eine Kolumne könnte er darüber nicht mehr schreiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen