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Weltklassepolitiker

Stefan Wirner hat Schröders und Stoibers Reden collagiert und damit ihre wahren Absichten kunstvoll enthüllt

Derzeit meinen viele, die politischen Vorstellungen von Unionskandidat Edmund Stoiber und Kanzler Gerhard Schröder unterschieden sich nur graduell. Der Berliner Autor Stefan Wirner enthüllt in seinem Buch „Schröderstoiber“, wie sehr dieser Eindruck trügt. Die Technik, die er dabei anwendet, ist denkbar einfach: Er hat Teile aus verschiedenen Reden Stoibers und Schröders entnommen und zu neuen Texten collagiert.

Wer also ist Edmund Stoiber wirklich? Ein deutschnationaler Politiker der besonderen Art. Zwar gliedert sich für den Bayern die Welt wie bei allen Nationalisten definitiv nach Völkern. Aber: Im Gegensatz zu den meisten Nationalisten hierzulande nimmt der Unionskandidat Minderheiten wie die deutschen Juden mit in den „deutschen Volkskörper“ auf. Genauso wie die Sudetendeutschen sind sie für ihn einer der „Stämme“, also Untergruppen der einheimischen Bevölkerung. Diese Gleichstellung ermöglicht es Stoiber, das Leid der Vertriebenen mit dem der Juden gleichzusetzten – und so den Holocaust quasi ganz nebenbei zu relativieren.

Zudem fordert Stoiber, den Stammtischen zuzuhören, weil dort „die Sorgen und Nöte der Menschen diskutiert“ würden – und hat gleichzeitig Angst vor der Macht einer informellen Öffentlichkeit, die sich herausnimmt, die organisierte Politik zu kritisieren. Er warnt vor Migration und einem allzu geeinten Europa, weil das seinem rückwärts gewandten Verständnis von Heimat widerspricht. Dabei weiß er gleichzeitig genau, dass weder Einwanderung noch europäische Integration umkehrbar sind, weil sie ökonomisch gebraucht werden.

Und der Amtsinhaber? Bei Stefan Wirner spricht ein Gerhard Schröder, dessen primäres Ziel es ist, in allen Disziplinen Weltklasse zu sein. Kein Thema, bei dem der Kanzler nicht auf die besondere Geschichte Deutschlands verweist – um damit eine Sonderrolle in der Welt und in Europa zu begründen, die es ermöglicht, Kriegseinsätze weltweit zu begründen. Egal ob zur Friedenssicherung auf dem Balkan oder zur Terrorismusbekämpfung vor Afrikas Küsten – Gerhard Schröder scheint alle Probleme der Welt mit deutschen Soldaten lösen zu wollen.

Stefan Wirners „Schröderstoiber“ ist eine aufklärerisches Buch. Abseits von allem Parteitagswortgeklingel, das Fachreferenten und Redenschreiber formulieren, offenbart es, was Kanzler und Kandidat wirklich sagen. Ob das auch etwas für deren politische Praxis bedeutet, wird man erst wieder nach dem 22. September sehen.

RÜDIGER ROSSIG

Stefan Wirner: „Schröderstoiber“, 66 S., Verbrecher Verlag, Berlin 2002, 8 €

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