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„Banken müssen verzichten“

Wenn die Gläubiger die Probleme nicht voraussehen konnten, sind sie selbst schuld

Interview HANNES KOCH

taz: Frau Fritz, die Hälfte der argentinischen Bevölkerung ist mehr oder weniger ohne Arbeit. Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Buenos Aires leben aus den Mülltonnen. Im benachbarten Uruguay wurden kürzlich Supermärkte gestürmt, weil Hunger herrscht. Auch Brasilien steht auf der Kippe. Sind das Einzelprobleme oder erleben wir die große Krise Südamerikas?

Barbara Fritz: Der Absturz ist dramatisch. Der Süden Lateinamerikas galt in den vergangenen Jahren ja immer als Beispiel für den Erfolg der liberalen Wirtschaftspolitik. Nun geht es rapide bergab: 90 Prozent der Banken in Argentinien sind praktisch pleite. Die einst breite Mittelschicht hat ihr Vermögen verloren und tauscht T-Shirts gegen Bananen, um zu überleben. Eine Ursache ist die massive Verschuldung von Argentinien und Brasilien gegenüber ausländischen Banken und dem Internationalen Währungsfonds.

Lange Jahre sah es doch ganz gut aus. Brasilien ist eine florierende Wirtschaftsnation, die den ganzen Kontinent mit Autos versorgt. Wie konnte es zu dem Kollaps kommen?

Die Schulden sind mittlerweile viel höher als die Einnahmen. Argentinien, Brasilien, aber auch Uruguay sind pleite. Der Entwicklungsweg der Neunzigerjahre war eine Sackgasse.

Wer ist zum Beispiel in Argentinien verschuldet: die Bevölkerung, die Industrie, der Staat?

Alle miteinander. Vor zehn Jahren hat die Regierung ja die argentinische Währung, den Peso, im Wert eins zu eins an den Dollar gekoppelt. Seitdem vergeben die Banken – meist sind internationale Institute daran beteiligt – viele Kredite in Dollar. Das ist sicherer für sie. Alle müssen also Dollar für ihre Kredite zahlen, während sie umgekehrt nur Peso einnehmen: Die Privatleute bekommen ihre Gehälter in argentinischer Währung, die Firmen verkaufen ihre Waren für Peso. Bei den staatlichen Steuereinnahmen ist es genauso.

Im letzten halben Jahr hat das argentinische Geld aber drei Viertel seines Wertes verloren. Das heißt …

… dass die Leute und auch der Staat jetzt viermal höhere Dollarzinsen zahlen müssen als früher. Die Gesellschaft ist ruiniert. Das hat sich so entwickelt, seit die Regierung in Buenos Aires die Dollarbindung ihrer Währung im vergangenen Februar aufgeben musste. Seitdem sackt der Peso ab.

Es gibt also noch andere Ursachen der Krise außer der massiven Verschuldung gegenüber dem Ausland?

Die argentinische Regierung hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat die eigene Währung zu lange an den Dollar geknüpft und sich mit ihrer festen Währungsanbindung ein riesiges Problem geschaffen. Diese schien so erfolgreich, dass sie diese unter keinen Umständen aufgeben konnte, ohne dass es enorme Proteste und Vertrauensverluste seitens der Kapitalmärkte gegeben hätte. Gleichzeitig aber waren Dosenobst, Rindfleisch, Maschinen im Vergleich zu brasilianischen Produkten zu teuer und nicht konkurrenzfähig. Die Unternehmen brachen zusammen.

Immerhin hat die Regierung eine Zeit lang stabile Verhältnisse geschaffen. Durch den Trick mit dem Dollar floss jede Menge Geld ins Land. Selbst Berliner Studenten haben gerne argentinische Staatsanleihen mit 15 Prozent Zinsen gekauft.

Vorsicht. Auch der große Kapitalimport ist eine Ursache der hohen Verschuldung. Das Land hat sich immer mehr Dollar geborgt, selbst aber immer weniger Dollar mit seinen Exporten verdient. Es entstand ein riesiges Loch, deshalb sind die meisten Banken jetzt mehr oder weniger zahlungsunfähig. So haben sie den Leuten schließlich ihre Konten gesperrt. Mitunter bekommt man ja in Buenos Aires nicht mal mehr 100 Peso aus dem Geldautomaten.

Viele Argentinier sagen selbst, dass ihr Land ein Paradies für Vetternwirtschaft und Korruption sei. Jeder Beamte und Provinzgouverneur würde in seine eigene Tasche wirtschaften, kaum jemand vernünftig Steuern zahlen. Haben die Politiker nicht einfach schlecht gewirtschaftet?

Es herrscht massive Rechtsunsicherheit. Das ist aber nicht der Kern des Problems.

Ausländische Investoren und Banken haben wenig Interesse, langfristig zu investieren, wenn ihr Geld in dunklen Kanälen verschwindet.

Es hat keinen Sinn, einem Land Kredite zu geben, mit denen es alte Schulden bezahlt

Solange die Rendite stimmt, machen die das trotzdem. Das wird erst dann zum Problem, wenn die Gewinnspanne zurückgeht. Das ist jetzt der Fall.

Anderthalb Schiffsstunden nördlich von Buenos Aires sind auch mehrere Banken pleite. Warum jetzt auch Uruguay?

Nicht nur die reichen Argentinier, auch die Mittelschichten hatten Angst, dass es im eigenen Land Bankenkrisen gibt wie in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Deswegen legten sie ihr Geld lieber auf ein Konto in Uruguay als zu Hause. Kürzlich dann ging die berechtigte Sorge um, dass auch die Banken in Uruguay zusammenbrechen. Deshalb zogen die Argentinier ihr Geld von dort ab und überwiesen es auf die Bahamas, nach Costa Rica oder in die Schweiz. Das Ergebnis: Die Krise weitet sich aus.

Und Brasilien? Woher kommen die Probleme dort?

Um die horrende Inflation der Achtzigerjahre zu bekämpfen, hat auch Brasilien seine Währung, den Real, an den Dollar gekoppelt. Allerdings nicht so stark wie Argentinien – etwas lockerer. Parallel dazu wurde die Wirtschaft nach außen geöffnet, Importzölle herabgesetzt, der Kapitalfluss über die Grenzen erleichtert. Es flossen viel mehr Geld und Waren ins Land hinein als hinaus, so dass auch dort die Verschuldung sprunghaft stieg. Die Länder brauchen immer frisches Geld von außen.

Neues Geld sollten die Staaten Südamerikas vorerst nicht mehr bekommen, hat US-Finanzminister Paul O’Neill kürzlich verlauten lassen. Daraufhin sackte der Wert der brasilianischen Währung ab. Kann man sagen, dass die US-Regierung das Land absichtlich destabilisiert hat, um den aussichtsreichen linken Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva zu verhindern?

Der Konservative O’Neill will nicht mit Lula, dem Kandidaten der Arbeiterpartei, zusammenarbeiten müssen. Trotzdem sind die starken Worte aus Washington teilweise vernünftig. Es hat ja keinen Sinn, einem Land Kredite zu geben, mit denen quasi nur die alten Schulden bezahlt werden. Ein Teil des Geldes landet sofort auf den Konten der ausländischen Schuldnerbanken in London, New York und Zürich. Dass der Internationale Währungsfonds jetzt doch 30 Milliarden Dollar, seinen größten Kredit aller Zeiten, an Brasilien vergeben hat, belegt die große Angst auch der US-Regierung, die Ökonomie ganz Lateinamerikas könnte zusammenbrechen.

Argentinien hat sich schon für zahlungsunfähig erklärt. Ist es angesichts der brasilianischen Schulden nicht so, dass weitere Kredite den Zeitpunkt der endgültigen Zahlungsunfähigkeit nur hinausschieben?

Das kann man so sehen.

Würden Sie denn sagen, dass sich die Länder gar nicht in dem Maße hätten verschulden sollen?

Wenn man das schon tut, muss man sehen, dass man genug exportieren kann, um genug Geld einzunehmen. Dieses ist nicht eingehalten worden. Hier spielen natürlich auch die USA und Europa eine wichtige Rolle. Durch ihre massiven Agrarsubventionen verhindern sie, dass Staaten wie Brasilien ihre Produkte verkaufen können.

Mitunter bekommt man in Buenos Aires nicht mal 100 Peso aus dem Automaten

Das System der IWF-Kredite scheint in der gegenwärtigen Form nicht die Entwicklung zu fördern, sondern in die wirtschaftliche und soziale Krise zu führen. Welchen Weg schlagen Sie vor?

Die Gläubiger müssten Argentinien, Brasilien, Uruguay und anderen Ländern einen großen Teil ihrer Schulden erlassen. Um das zu regeln, bräuchte man ein internationales Insolvenzrecht.

Die ausländischen Banken, darunter die Deutsche Bank, sollen im Falle von Brasilien mal eben auf 250 Milliarden Dollar verzichten?

Die Hälfte der gesamten Schuldenlast würde schon reichen. Damit würden die Zinsen sinken, und die Länder könnten mehr Geld in die Entwicklung ihrer Wirtschaft stecken, um endlich Exportüberschüsse zu erzielen.

Das läuft auf die partielle Enteignung der internationalen Banken hinaus. Wer soll das durchsetzen?

Das wird selbst beim IWF diskutiert. Im privaten Insolvenzrecht ist es ja auch nichts anders: Die Bank verzichtet auf einen Teil ihrer Forderungen, damit sie für den anderen Teil wieder Zinsen bekommt. Im Übrigen haben die Banken ihr Geld durch die Zinszahlungen der vergangenen Jahre schon längst zurückgeholt. Die Höhe der Zinsen ist mitunter unglaublich. Heute müssen brasilianische Schuldner für neue Kredite 30 Prozent bezahlen. Die Gläubiger verdienen somit satt und kräftig. Und außerdem: Es sind private Gläubiger. Wenn die nicht voraussehen konnten, dass ihr Schuldner möglicherweise ein Problem bekommt, sind sie selbst schuld.

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