: Eltern richtig gewickelt
Gute Ratschläge: Der Elternbrief soll auch die erreichen, die für pädagogische Nachhilfe sonst nicht zu haben sind. In Bremen stand das Gratis-Angebot wegen Porto-Kosten zur Disposition
Woher zum Teufel kennen die eigentlich mein Kind? Fast alle Eltern in Bremen, die gerade wieder einen Elternbrief aus dem Postkasten gefischt haben, werden sich diese Frage schon gestellt haben.Einerseits sind zwaralle Kinder verschieden – und genau das wird der regelmäßig und kostenlos zugesandte Elternbrief nicht müde zu erklären – andererseits machen sie früher oder später doch alle die gleichen Phasen durch: Jungs ballern mit allem rum, was entfernt nach Knarre aussieht und bringen pazifistische Eltern an den Rand ihrer Möglichkeiten. Dreijährige ziehen morgens und gerne wenn’s besonders stressig ist, jeden kleinsten Schritt auf dem Weg zur Haustür in die Länge. Fünfjährige, die eben noch als Lieblingsspeise Würstchen mit Frikadellen und Ketchup angegeben hätten, fragen plötzlich mit Tränen in den Augen: „Müssen für Fischstäbchen etwa echte Fische sterben?“
Anfangs monatlich, später alle zwei Monate gibt‘s in 170 Städten und Gemeinden Erziehungstipps gratis. 180.000 verschickt das Amt für Soziale Dienste in Bremen jedes Jahr. Und wer jetzt an oberlehrerhafte Vorschläge zum Thema Lieber-Pampers-oder-Stoffwindel denkt, die ist definitiv schief gewickelt. Inhaltlich und sprachlich ganz nah dran am Alltag von Mama, Papa, Kind wenden sich die Elternbriefe auch an diejenigen, die sich so schnell keinen Rat von außen holen würden. „Wir haben zwar keine exakten Rückmeldungen“, erklärt Gisela Steppke-Bruhn vom Berliner Arbeitskreis Neue Erziehung, der 1974 die Elternbriefe aus der Taufe hob, „aber wir erreichen sicher mehr als diejenigen, die sich eine Eltern-Zeitschrift abonnieren“.
Und so werden auf den vier bunt illustrierten Seiten jedes Mal mehrere altersgemäße Themen kompakt und szenisch vorgestellt. Die Sorgen und Nöte der Eltern spielen dabei eine genauso große Rolle, wie die der Kinder. Thema Trotz-Phase etwa, die der Elternbrief als „das Getöse, in dem sich ein eigener Wille formt“ beschreibt: „Neiiin, will nicht!“ brüllt Anna, außer sich vor Zorn. Wildes Schluchzen, ein kleiner Fuß in Ringelsocken, der immer wieder aufstampft. Ihre Mutter wollte ihr doch nur den zweiten Gummistiefel anziehen. Während sie versucht, ihren Ärger herunterzuschlucken, fliegt ihr der erste Gummistiefel ans Schienbein. Tränen schießen ihr in die Augen. „Was habe ich nur falsch gemacht?“ Die tobende kleine Gestalt auf dem Fußboden ist jetzt auf sie angewiesen. Bleiben Sie bei Ihrem Kind, und warten Sie, bis der Sturm sich legt.“ Große Themen wie Gewalt (“Gehen Sie aus dem ‚Ring‘! Gehen Sie aus dem Zimmer und zwar bevor Ihnen der Kragen platzt“), sexueller Missbrauch und Trennung schneidet der Kurzratgeber ebenso an wie die profanen Dinge des (Familien-)Lebens. So erfährt die haustiermäßig weichgeklopfte Mutti auch, dass Hamster „mürrische Einzelgänger“ sind, „so dass die gut gemeinte Anschaffung eines zweiten Hamsters unweigerlich in einer Tragödie endet“.
Das Vorbild der Elternbriefe stammt aus Amerika. „Peter Pelikan“ hießen die Elternbriefe dort – der Pelikan hat dort dieselbe Rolle wie hier der Klapperstorch. „Aber die kulturellen Unterschiede waren zu groß“, sagt Steppke-Bruhn. Also machte man sich an die „deutsche Fassung“. Und mittlerweile auch an eine türkische Ausgabe der wichtigsten Elternbriefe. Zuletzt wurden die Briefe vor sechs Jahren runderneuert, von einer Fachjournalistin, die selbst vier Kinder hat. Die inhaltlich größte Änderung hat jedoch in den 80ern stattgefunden: „Man hat die Sinnhaftigkeit von Regeln wieder entdeckt“, fasst die wissenschaftliche Mitarbeiterin Steppke-Bruhn zusammen. „Bei den Briefen in den 70-ern ging es um Liberalisierung, dafür muss man heute nicht mehr werben“. Während die Personal- und Sachkosten durch einen Zuschuss aus dem Familienministerium gedeckt sind, entstehen die meisten Engpässe beim Porto. So auch in Bremen, wo die Landesbausparkasse bis Herbst letzten Jahres die Postgebühren bezahlte. Dann aber klagte Wüstenrot, weil die Werbe-Beilage der LBS wettbewerbsverzerrend sei – ohne freilich selbst als Sponsor oder wenigstens Mit-Werber ins Boot zu gehen. Auf den 80.000 Euro Porto, die jährlich anfallen, sitzt seitdem die Sozialsenatorin. Deren Sprecherin aber bekräftigt: „Wir werden diese sehr sinnvollen Elternbriefe auf jeden Fall auch im nächsten Jahr noch kostenlos verschicken“.
Elke Heyduck
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