Skepsis im Horrorkino

Cannes-Skandalfilm und anderer Terror: Die letzten Tage des Fantasy Filmfests bieten B-Movie-Plots oder augenzwinkernde Hinweise darauf

von HOLGER RÖMERS

Es wirkt wie eine stumme Bitte um Hilfe vom Publikum, wenn Monica Beluccis Hand in Irréversible den unteren Bildrand berührt. Die Zuschauer müssen indes eine Vergewaltigung ansehen, die unerbittlich in einer einzigen starren Einstellung gefilmt ist. Als Alternative bleibt allein der Gang aus dem Kino, den die Premierenbesucher beim Festival von Cannes denn auch in Scharen antraten. Nun ist Gaspar Noés Film, der seine knapp 24 Stunden umspannende Handlung in umgekehrter chronologischer Reihenfolge erzählt, im Rahmen des Fantasy Filmfests erstmals in Deutschland zu sehen – und entpuppt sich als ein Fall frivol verschwendeten Regietalents.

Die fraglose Ekelhaftigkeit der beschriebenen Szene ließe sich nämlich gegebenenfalls als selbst auferlegte Verpflichtung rechtfertigen, die Augen vor den Scheußlichkeiten der Welt nicht zu verschließen. Doch gelegentliches Augenzwinkern an anderer Stelle lässt die Zumutung ans Publikum zur bloßen Koketterie geraten. So will Noé sich eine Anspielung auf seinen Vorgängerfilm ebenso wenig verkneifen wie einen selbstreferentiell-ironischen Dialogsatz, in dem der eine Protagonist dem anderen vorhält, sein Rachefeldzug für die Vergewaltigung der Freundin entspreche einem B-Film-Plot. Unter diesen Umständen dienen auch die Cleverness der Erzählstruktur und die Souveränität der Rhythmusvariationen allein dem spekulativen Kalkül.

Ein anderer französischer Festivalbeitrag bezeugt dafür, dass man es nunmehr auch im Nachbarland dem Vorbild Hollywoods gleichtut und altmodische B-Film-Stoffe als Ausgangsmaterial für große Mainstream-Produktionen recyclet. Belphégor beruht auf der gleichnamigen Fernsehserie aus dem Jahre 1965, in der ein Geist den Louvre heimsuchte. Wenn aus einer altägyptischen Mumie, die in den Magazinbeständen des Museums in Vergessenheit geraten war, eine ruhelose Seele in Sophie Marceaus Körper wandert, gibt Regisseur Jean-Paul Salomé sich gar nicht erst Mühe, daraus einen stringenten Erzählstrang zu knüpfen. Doch gerade diese Nonchalance macht seinen Film zu einem charmanten Vergnügen, zumal sich für Michel Serrault und Julie Christie bezaubernde Nebenrollen fanden.

Während Belphégor allenfalls für dezenten Grusel sorgt, fließt in dem südkoreanischen Thriller Say Yes das Blut in Strömen. Hwang Ki-Sungs grober Film, in dem ein Pärchen im Neuwagen eine Urlaubsreise antritt und von einem ominösen Anhalter heimgesucht wird, ruft Erinnerungen an den Landstraßenterror aus Hitcher oder Duell wach.

Eines traditionellen Topos des Horrorkinos bedient sich schließlich auch der Abschlussfilm des diesjährigen Festivals. Nach einer Netzhauttransplantation muss in The Eye eine junge Frau, die in Kindesjahren erblindet war, das Sehen erst allmählich wieder erlernen. Dass Nebenwirkungen dabei nicht ausbleiben, ist angesichts der tiefen Skepsis des Horrorkinos gegenüber Organspenden nicht anders zu erwarten. Also erblickt die junge Frau in diesem in Hongkong gedrehten soliden Genrewerk Geistergestalten, deren Grusel, wie es seit The Sixth Sense Mode ist, eine sprirituelle Note besitzt. Das Insistieren der Zwillingsbrüder Oxide und Danny Pang auf der Schönheit dieser Welt steht dabei schließlich in denkbar starkem Kontrast zum Nihilismus ihres Kollegen Noé.

Belphégor: Di, 20.30 Uhr; Irréversible: Di, 22.45 Uhr; Say Yes: Di, 22.45 Uhr; The Eye: Mi, 20.30 Uhr, Grindel