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Schröder dreht am Steuerrad

Um die Milliarden für die Behebung der Schäden zusammenzubekommen, hat die Regierung den Bruch mit der Politik niedriger Steuersätze beschlossen

aus Berlin HANNES KOCH

Wer überlegt, wie viel Geld das Hochwasser im Endeffekt kostet, könnte mit seinen Berechnungen im Erzgebirgsstädtchen Flöha beginnen. Dort wurden an öffentlicher Infrastruktur vom gleichnamigen Fluss zerstört: das Gymnasium, die Berufsschule, mehrere Brücken, viele Straßen. Die grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau schätzt den Schaden auf „100 Millionen Euro“ – ohne die Kosten für den Wiederaufbau der Privathäuser und Firmen.

Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt wartete gestern mit einer ersten Schadensschätzung auf: 5 Milliarden Euro braucht demnach das südöstliche Bundesland, um über die verheerende Flut hinwegzukommen. Und die Allianz-Versicherung hat schon mal angedeutet, auf welche Gesamtsumme sich die Reparaturen addieren könnten. Bis zu 15 Milliarden Euro kamen zusammen.

Um solche Zahlen ging es gestern Nachmittag, als das rot-grüne Bundeskabinett in Berlin zusammentrat. Bundeskanzler Gerhard Schröder und diverse Minister hatten schon in den vergangenen Tagen „schnelle und effektive Hilfe“ versprochen – nun ging es darum, das Geld dafür einzusammeln.

Die Regierung hat sich zu einem weitreichenden und schwerwiegenden Schritt entschlossen: dem Bruch mit der Politik niedrigerer Steuersätze, die den Leuten mehr Geld in die Hand und mehr Jobs schaffen sollte. Die für 2003 geplante zweite Stufe der Steuerreform wird verschoben, teilte Schröder am Abend mit. Der steuerfreie Grundverdienst sollte ab Januar um rund 200 auf 7.426 Euro steigen, der Eingangssteuersatz von 19,9 auf 17 Prozent sinken und der Spitzensatz von 48,5 auf 47 Prozent reduziert werden. Das hätte den Bürgern rund 6,9 Milliarden Euro Steuern erspart. Daraus wird nichts: Diese Summe bleibt bei Bund, Ländern und Gemeinden, damit sie die ärgsten Schäden des Hochwassers beseitigen können.

Bundesfinanzminister Hans Eichel wird also 2003 rund 3 Milliarden Euro mehr in der Kasse haben, die Bundesländer bekommen 2,8 und die Gemeinden rund 1 Milliarde. Von den drei Bundesmilliarden soll eine verwendet werden, um die zerstörte Infrastruktur wie Straßen und Brücken zu reparieren, eine geht als Zuschuss an überflutete Betriebe und geschädigte Privatleute, eine Milliarde bekommen die Gemeinden, um die örtliche Versorgung wiederaufzubauen.

Angesichts der Verschiebung der Steuererleichterungen um ein Jahr und der Abkehr vom bisherigen finanzpolitischen Weg der Bundesregierung „wird es Kritik von Interessenverbänden geben“, räumte Schröder ein. „Aber man kann nicht über Solidarität reden und sie nicht leisten, wenn es ernst wird.“ Angesichts der gigantischen Schäden sei Hilfe unbedingt notwendig. Schröder: „Das wird vom Volk verstanden, das ist unsere Pflicht.“

Finanzminister Eichel sagte, es habe drei Alternativen gegeben. Man hätte höhere Schulden aufnehmen können, doch dies sei angesichts des Defizitkriteriums im europäischen Vertrag von Maastricht nicht in Frage gekommen. Eine weitere Variante wären Umschichtungen im Haushalt gewesen. Doch der Etat für 2003 sei „bereits auf Kante genäht“, wie Eichel sagte. Mit anderen Worten: Es wäre sehr mühsam und wenig effektiv gewesen, aus einzelnen Ressorts hunderte Millionen herauszuschneiden, um sie nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und anderen betroffenen Regionen zu schieben. Die dritte Variante, „eine klare Finanzierung“, so Eichel, habe man nun mit der Verschiebung der Steuerreform gewählt.

Bundeskanzler Schröder gab sich überzeugt, dass die Entscheidung auf die Konjunktur keine negativen Auswirkungen haben werde. Die Verbraucher hätten zwar weniger Geld in den Taschen, als ursprünglich geplant. Als Ausgleich komme aber die zusätzliche Nachfrage hinzu, die die staatlichen Hilfsgelder auslösten.

Ob all dies genügen wird, um die Flutschäden zu beheben, steht freilich in den Sternen. Denn an die Summen, die die Allianz ausgerechnet hat, reicht das Hilfsprogramm bei weitem nicht heran.

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