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Königin der Örtchen

Welche öffentliche Toilette ist ein Wagnis, welche wie daheim? Ein Berlin-Führer weist den sanitären Weg

Wer kennt das nicht: Kaum sind die heimischen vier (Badezimmer-)Wände verlassen, schon stellt sich ein dringendes Bedürfnis ein. Entweder man hält verkrampften Schrittes aus oder blickt der schonunglosen Wirklichkeit mit gerümpfter Nase ins Angesicht, auf einem der 348 öffentlichen Berliner WCs.

Arg erwischt es den, der das Bedürfnis ausgerechnet Ecke Osloer Straße/Prinzenallee zu stillen gedenkt. Dort nämlich, so verkündet Toilettenspezialist Reiner Elwers das anrüchige Unheil, ist die schlimmste öffentliche Toilette Berlins beheimatet. Von einer „Vorhölle der Sanitärkultur“ und „desaströsen Verhältnissen“ berichtet der Autor in dem jüngst erschienenen Buch „Stadtführer für alle Fälle. Berlin und seine öffentlichen Toiletten“ (L & H Verlag, Hamburg, 7,80 Euro).

Doch fallen die Urteile nach dem wahrlich notdürftigen Recherche-Rundgang quer durch Berlin – insgesamt wurden 60 Orte „besichtigt“ – milder aus als befürchtet. Beim Klo am Wannsee etwa gerät Elwers ins Schwärmen über den „Panoramablick danach“, auch beim „Café Achteck“ am Chamissoplatz, einem Eisenkonstrukt noch aus der Kaiserzeit, funkeln seine Augen voller Nostalgie und Begeisterung. Keine Frage, der Mann weiß, wovon er spricht.

Zur Präsentation des skurrilen Stadtführers haben sich Verleger, Autor, Sanitätsfirma, aber leider nur wenige sich als Toilettenfreunde outende Passanten dort eingefunden, wo „wir einen Blick in die Zukunft des Toilettenwesens werfen können“, so Elwers. Auf dem Spandauer Markt nämlich ist seine Königin der stillen Örtchen zu bestaunen, zu beschnuppern und natürlich zu testen. Für 1,3 Millionen Mark wurde das sanitäre Schmuckstückvon der Wall AG erbaut: Ein Aufzug garantiert Behinderten Zugang ins unterirdische Örtchen. Fünf Sitzflächen und fünf Pissoirs bereiten Männlein und Weiblein Erleichterung, zudem ein Behindertenklo und ein Wickeltisch. Die jährlich 20.000 Besucher kostet das große Geschäft 20 Cent, die Benutzung des Pissoirs ist kostenlos. Davon bezahlt wird vermutlich der freundliche Putzmann: Von 9 bis 23 Uhr sieht er nach dem hygienisch Rechten. Bemerkenswert auch die in blauer Metallic-Rauhfaser gehalteten Wände, bei näherer Betrachtung – was am Pissoir stehend unausweichlich ist – erwecken sie einen 3-D-Eindruck, der garantiert noch einigen Spandauer Nachtgestalten ihre Trunkenheit unangenehm verdeutlichen wird.

Die Präsentation der futuristischen Klo-Gemächer entbehrte keineswegs einer Feierlichkeit, die besagtem Geschäft eher selten zukommt: Schließlich war ein Jubiläum zu begehen. 1852 eröffnete die erste öffentliche Toilette weltweit in London – damals eine Notwendigkeit aufgrund katastrophaler hygienischer Verhältnisse in den Gossen der britischen Hauptstadt. Der Schriftsteller Thies Schröder erinnerte an die historische Stunde. Im Buch wird dies in dem Kapitel „Ästhetik des Austretens“ beschrieben. So ist zu erfahren, dass Ernst Litfaß in seinen Säulen ursprünglich auch Pissoirs unterbringen wollte, die sanitäre Neuerung aber erst 1863 nach Berlin kam, und dass es auch zukünftig im Deutschen Bundestag keine Unisex-Toiletten geben wird. Auch das verschafft Erleichterung. WOLF VON DEWITZ

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