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Gregor Gysi rettet Deutschland

Der PDS-Star auf Wahlkampftournee: Seine Fans wollen nichts wissen von Bonusmeilen und Rücktritt. Es reicht ihnen völlig, dass Gysi ihr Messias ist

aus Gera und Erfurt JENS KÖNIG

Gregor Gysi ist nicht zurückgetreten. Er trägt einen dunklen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Er fährt in einem großen Audi durchs Land, vorn sitzt sein Chauffeur, hinten neben ihm seine Büroleiterin aus dem Wirtschaftssenat. Er telefoniert die ganze Zeit. Er hat viel zu tun. 40 Wahlkampfauftritte wird er bis zum 22. September absolvieren. Am Sonnabend war er in Thüringen, am Sonntag in Sachsen-Anhalt, am Donnerstag spricht er zum offiziellen Wahlkampfauftakt seiner Partei in Berlin.

Gregor Gysi kann gar nicht zurückgetreten sein. Wenn er aus dem Auto steigt, kommen die Menschen auf ihn zu, schütteln ihm die Hand, lassen sich mit ihm zusammen fotografieren. Manche Frauen stecken ihm kleine Geschenke zu. Gysi reagiert darauf immer noch genauso verlegen wie am ersten Tag. Erst wenn er auf der Bühne steht, wird er locker. Er redet dann eine halbe Stunde am Stück, ohne Manuskript. „Die PDS ist die einzige Partei, die Stoiber verhindern kann“, ruft er von der Bühne herab, „wir werden zwar keine Koalition mit der SPD eingehen, wir werden eine rot-grüne Regierung auch nicht tolerieren. Aber es gibt da noch etwas Drittes, das ich jetzt allerdings nicht verraten kann, weil es sonst nur zerredet wird.“ Die Zuhörer johlen. Niemand fragt Gysi nach der Bonusmeilen-Affäre. Kein einziger will wissen, wie das mit dem Rücktritt war. Warum sollten sie auch? Gysi ist doch da! Gysi verhindert, dass Stoiber Kanzler wird! Gysi rettet Deutschland! Und er verrät nicht einmal, wie es geht.

Vielleicht weiß Gysi ja selbst noch nicht, dass er zurückgetreten ist. Er hat keine Vorstellung davon, wie das Leben so ist als Anwalt und einfaches Parteimitglied. Als Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch ihm eines Tages erzählte, dass er im Wahlkampf immer allein mit dem Auto unterwegs sei, war Gysi fassungslos. Er ist seit zwölf Jahren nicht mehr selbst Auto gefahren. Der Parteivorstand hat ihm sofort eine Limousine zur Verfügung gestellt.

Natürlich weiß Gysi, dass er zurückgetreten ist. Seine Entscheidung ist ihm schwer gefallen. Und viele Menschen haben darauf reagiert. Gysi hat in diesen Tagen so viel Post bekommen, wie seit seiner Wahl zum Parteichef im Dezember 1989 nicht mehr. Er hat jeden einzelnen Brief beantwortet und die Motive für seinen Rücktritt erklärt. Eine Stunde vor seinem ersten Auftritt in Gera erzählt Gysi ganz zerknirscht, dass er im Wahlkampf vor allem versuchen müsse, Enttäuschungen abzubauen. Er scheint selbst nicht zu wissen, wie das gehen soll. Er weiß nur, dass ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Er muss wieder raus, unter Menschen, vor die Kameras. Er muss witzig sein. Er war doch immer witzig.

Jetzt, eine Stunde später, ist von der Zerknirschung nichts mehr übrig geblieben. Gysi streift in seiner Rede seinen Rücktritt nur beiläufig. Er spricht von einem „Fehler“ und dass man dafür nicht nur unten, sondern auch oben in der Gesellschaft haften müsse. Das kommt an, hier unten in der Gesellschaft, in Geras Fußgängerzone.

Gysi ist davon überzeugt, dass die PDS wieder in den Bundestag einziehen wird. Sein Rücktritt, erzählt er zwischen zwei Wahlkampfauftritten, werde kaum Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben, mit Ausnahme in Berlin vielleicht. In der Hauptstadt sind zwei Tage nach Gysis Rücktritt tausende von Menschen an die PDS-Infostände gekommen und haben gefragt, wen sie denn jetzt wählen sollten, wo doch Gysi nicht mehr für den Bundestag kandidiere.

Die Leute wussten nicht, dass Gysi am 22. September gar nicht zur Wahl stand. Vermutlich wussten sie auch nicht so genau, ob Gysi nun Wirtschafts- oder Kultursenator war. Wahrscheinlich war das ihnen genauso egal wie die Frage, ob Rudi Völler die Nationalmannschaft trainiert oder Bayer Leverkusen. Volkshelden brauchen keinen Posten. Sie sind einfach da.

Gysi weiß, dass er den Leuten dieses Gefühl schuldig ist. „Meine Gegner sollten aus meinem Rücktritt nicht den Schluss ziehen, dass sie mich nicht mehr wieder sehen“, ruft Gysi über den Marktplatz in Erfurt. „Andere sind auf ein Amt angewiesen, um sich öffentlich äußern zu können. Ich nicht.“ Tosender Beifall. „Sie werden mich wieder sehen“, schreit Gysi in den Jubel hinein.

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