Ein Minister mit neuer Basis

Dass Jürgen Trittin mit Hochwasser und Klimapolitik punkten kann, ist Glückssache. Unterstützung erhält der Grüne zunehmend aus der neuen Industrie

Gerade die Nachgiebigkeit gegenüber RWE & Co hat Trittin in Niedersachsen viel Unterstützung gekostet

von HANNES KOCH

Es ist schön, wenn man zu Menschen kommt, die einem dankbar sind. Die Firma lässt sich nicht lumpen: 300 Gedecke auf weißen Tafeln hat sie aufgeboten, hochhackige Damen im langen Schwarzen reichen farbenfrohe Cocktails, das Buffet biegt sich. Vordergründig geht es um die Einweihung einer neuen Produktionshalle für Windkraftwerke des Unternehmens Vestas, doch die ins Land gefunkte Botschaft lautet: Ohne den grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin wäre die Fabrik im brandenburgischen Städtchen Lauchhammer nicht entstanden.

Gelassen nach den Seiten grüßend, schreitet ein aufgeräumt lächelnder Jürgen Trittin an den langen Tischreihen entlang durch die Halle zum Rednerpodium. Viele Gäste erheben sich. Wo jetzt Vestas steht mit seinen 250 Arbeitsplätzen, war vorher nichts. Das DDR-Brikettwerk hatte die Wende nicht überlebt.

Der Minister trifft hier seine Manager-Generation: alerte 40-Jährige mit streichholzkurzen, blonden Stoppelhaaren, gebräunt vom Segeln oder Langlauf, den auch Trittin selbst oft einschiebt. Der Politiker wie die neue Elite stehen auf einem Höhepunkt ihrer Karrieren, gerne posiert man gemeinsam für die Kameras. Später nennt einer der Vestas-Geschäftsführer den Minister „den lieben Jürgen Trittin“, und Vestas-Chef Hans-Jørn Rieks sagt: „Die Politik der Bundesregierung hat das hier erst möglich gemacht.“

In diesen Tagen ist Trittin eine gefragte Person. Jeden Tag steht er auf einem anderen Deich, der durch das Hochwasser zu brechen droht, und münzt alte grüne Warnungen vor dem Raubbau an der Natur in neue Wählerstimmen um, die der rot-grünen Regierung eine zweite Amtsperiode bescheren sollen. Auch den Termin bei Vestas hatten ihm seine Mitarbeiter streichen wollen, um Trittin wieder an die imageträchtige Hochwasserfront zu schicken. Doch der Minister wollte sich seinen Besuch in Lauchhammer auf keinen Fall nehmen lassen: Diese Art der Repräsentation ist für ihn unendlich viel wichtiger als eine schnelle Katastrophenshow.

Der norddeutsch nüchterne Trittin betrachtet Politik nicht „als Wettbewerb um Konzepte, sondern als Auseinandersetzung von materiellen Interessen“. Marxistisch geschult und beim Kommunistischen Bund in Göttingen in den Siebzigerjahren politisch sozialisiert, ist Trittin der einzige Minister im Kabinett von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem es gelungen ist, in den vergangenen vier Jahren eine eigene Lobby in der Wirtschaft aufzubauen. Zielsicher hat er während der Koalitionsverhandlungen 1998 das Amt für sich beansprucht, in dem dies möglich ist: das Umweltministerium.

Einige tausend Ökoenergie-Betriebe beschäftigten mittlerweile 130.000 Leute in Deutschland. Das ist die Basis von Trittins Einfluss – die Flut nur Glücksache. Durch sein Gesetz zur Finanzierung des sauberen Stroms aus Sonne, Wind und Wasser hat die Branche einen enormen Aufschwung genommen. „Wir wollen nicht, dass das Gesetz verändert wird“, donnert Vestas-Chef Rieks vom Podium und lässt auf diesem Weg Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber wissen, was er von dessen Plänen hält, die Ökofinanzierung zu kürzen. Jürgen Trittin braucht nur die Ernte einzufahren: „Wenn wir das zusammen angehen wie bisher, werden wir unser Ziel erreichen.“ Der geübte Polarisierer und Wahlkämpfer sagt das in Ostdeutschland, wo Grüne sonst kein Bein auf die Erde bekommen.

Der Minister konnte sich von seinen teils selbst verschuldeten Niederlagen auch deshalb erholen, weil er diese Industrielobby hinter sich weiß. Vor anderthalb Jahren war Trittin ganz unten. Der grüne Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger forderte öffentlich seinen Rücktritt. Damals durchkreuzte das trotzig-linke, lockere Mundwerk des Bewegungspolitikers Trittin die kühle Planung des Lobbypolitikers. Der Bundesminister beschimpfte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer im Radio als „Skinhead“ – der alte Hass des Agitatoren und Demonstrationsredners, der in seinem Buch „Gefahr aus der Mitte“ in den Neunzigerjahren den Rechtstrend der Konservativen anprangerte, brachte ihn dem politischen Exitus gefährlich nahe.

Den verhinderte nicht zuletzt ein hoher Verbandspolitiker der Ökobranche, als er bei einer Veranstaltung im Berliner Postmuseum eine Laudatio auf den Umweltminister hielt. Der anwesende Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch, bemerkte, dass der Wind sich drehte, und legte Trittin demonstrativ den Arm um die Schulter. Damit hatte dieser sein Tal durchschritten.

Für Bundeskanzler Schröder ist Trittin zu wichtig, als dass er ihn hätte fallen lassen können. Der Chef des Naturschutzbundes, Jochen Flasbarth, bezeichnete ihn unlängst als „Deutschlands erfolgreichsten Umweltminister“ aller Zeiten. Durchgesetzt hat er das Auslaufen der Atomkraftwerke und das neue Naturschutzgesetz – und bindet damit den linken Teil der Neuen Mitte. Bei den Grünen, die ihn heute bei ihrem Länderrat in Berlin als einen der Hauptredner feiern, genießt er nicht nur beträchtliches Ansehen in Sachen Klimaschutz und Hochwasser, sondern auch wegen seiner konsequenten Positionen. Für die Traditionsklientel der Ökopartei hält er Sätze bereit wie „Der neoliberale Weg ist gescheitert“ oder „Die Ampelkoalition kann nicht funktionieren“.

Trittins Ruf, der letzte Vertreter der alten Linken in der Grünen-Spitze zu sein, eilt ihm jedoch teils zu Unrecht voraus. Es gibt kaum eine Rückzugslinie, die der Kompromisspolitiker nicht aufgeben würde. Die Verschiebung des Recylings von alten Autos, für das er sich selbst eingesetzt hatte? Ein paar Jahre längere Laufzeit für die AKWs? Gerade die Nachgiebigkeit gegenüber RWE & Co hat Trittin in seinem Stammland Niedersachsen viel Unterstützung gekostet.

Obwohl er in der Öffentlichkeit die Karte des guten Gewissens spielt, weiß er, dass er die Erosion seiner alten Basis nicht verhindert. Weil sich der Realpolitiker Trittin aber auf eine neue Lobby stützen kann, hat er damit kein Problem. Über die SPD sagt er: „Die leiden an der Veränderung.“ Jürgen Trittin tut das nicht.