: „Was hat Hartz mit uns zu tun?“
SPD tagte zum Thema „Frauen und Arbeit im Osten“ – Publikum sprengte die Show
LEIPZIG taz ■ Politische Veranstaltungen im Osten sind mit äußerstem Fingerspitzengefühl zu absolvieren. Das übliche Politgebläh, anderswo mit Achselzucken quittiert, wird hier immer noch auf Stichhaltigkeit geprüft. Als das Forum Ost der SPD überlegte, ob es seine Tagung zu Frauen und Arbeit in Leipzig am Donnerstag wegen akuter Flutprobleme absagen soll, entschied es sich deshalb dagegen: Die Frauen im Osten sind eine sensible WählerInnengruppe, und es wäre eine fatale Wiederholung, wenn ihre Probleme hintangestellt würden, weil anderes wichtiger sei.
Zu oft haben die Ostfrauen etwa mittlerweile gehört, dass ihre fatale „Erwerbsneigung“ die Arbeitslosenquote im Osten in die Höhe treibe. Die Regierung in Gestalt von Frauenministerin Christine Bergmann, das Forum Ost, repräsentiert von Exministerpräsident Manfred Stolpe und die Hartz-Kommission, personifiziert durch Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee beeilen sich deshalb, zu betonen, das die Frauen eine ganz exzellente Humanressource sind, deren Potenzial die Wirtschaft gerade entdecke, etc., etc. Sie haben sogar eine Studentin eingeladen, die ihre Zukunftspläne erläutert. Christine Bergmann hält ihre Standardrede über junge Mütter, die arbeiten wollen und keine Kinderbetreuung finden, und über das Problem, dass junge Mädchen Friseurin und Arzthelferin werden wollen statt IT-Ingenieurin.
Was reden die da? Was redet die Frauenministerin, die doch selbst aus dem Osten kommt und genau weiß, wer da vor ihr sitzt? Da sitzen Frauen ab Mitte vierzig, die noch nie ein Problem mit technischen Berufen hatten, weil es in der DDR normal war, dass Frauen Ingenieurin werden. Sie haben auch kein Problem mit der Kinderbetreuung, das ist nämlich ungefähr das Einzige, was im Osten wirklich gut funktioniert. Sie brauchen schlicht Arbeitsplätze. „Ich bin gereizt“, sagt denn auch die erste Rednerin aus dem Publikum, eine Psychologin. Sie könne Kurse und Beratung über Berufswahl für Jungen und Mädchen anbieten, wie es die Ministerin so wichtig finde, aber dafür gebe es kein Geld. Also arbeite sie im Knast – „Männergemeinschaft pur“, ruft sie. Und: „Ich würde Sie gerne an Ihren Taten messen!“
Dann steht eine 55-Jährige auf und erzählt, von der Reformpädagogik in ihrem Mädchenarbeitskreis – ehrenamtlich macht sie diese Arbeit, offiziell ist sie arbeitslos. „Herr Tiefensee: Was könnte man mit dem Geld, das Leipzig für die Fußball-WM ausgibt, alles an Reformarbeit anfangen!“, sagt sie. Und plötzlich schluchzt sie nur noch: Ihre Arbeitslosenhilfe werde von Jahr zu Jahr abgesenkt, immer öfter müsse sie zum Sozialamt. „Ich bin an der Grenze. Und ich bin nur eine, es gibt so viele von uns!“
Da bricht sie kurzfristig zusammen, die Politshow. Bestürzte Gesichter auf dem Podium. Es wird umgeschaltet von Normalbetrieb auf Krisensituation: Christine Bergmann erinnert sich plötzlich wieder: An ihre Zeit als Sozialsenatorin in Berlin, da musste sie den guten Sozialprojekten auch immer die Finanzierung zusammenstreichen. Jetzt einigt man sich schnell darauf, das die Politik eben keine Wunder vollbringen kann. Dass man aber Einzelprobleme gerne hinterher noch mal persönlich besprechen kann. Gut gemanagt: Für irreal erklären („Wunder“), als Einzelfall darstellen und auslagern.
Dann kann’s weitergehen. Wolfgang Tiefensee versucht allen Ernstes, die Ergebnisse der Hartz-Kommission als frauenfreundlich darzustellen. Vergeblich. Wie man eine Kommission mit einer Frau und 14 Männern mit Geschlechtergerechtigkeit in Verbindung zu bringen wagt, wird er gefragt. Warum man Minijobs im Haushalt für Frauen schafft, während die doch selbst Konzepte für Putzagenturen mit Vollzeitarbeitsplätzen entwickelt haben. Und dass die Hartz-Kommission mit Arbeitsplätzen für Frauen im Osten ohnehin nichts zu tun habe: „Warum haben Sie zugelassen, dass hier alles kaputtgespart wird? Warum haben Sie zugelassen, dass Unternehmen von hier nach Hannover zogen? Ich will eine Antwort“, ruft eine Frau. Sie bekommt die mit der „Wunder“-Formel. „Um Frauenarbeit im Osten ging es hier gar nicht“, stellt nach dem Ende der Tagung eine Sozialwissenschaftlerin fest, die im Publikum saß, „und das ist mit Sicherheit kein Zufall.“ HEIDE OESTREICH
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