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Schily und seine gelehrigen Schüler

Einen Tag nach dem „TV-Duell“ der Kanzlerkandidaten zeigt Innenminister Otto Schily, wie man den Amtsbonus im Fernsehen ausspielt. CSU-Gegenspieler Beckstein muss sich beim ARD-Gipfel zu innerer Sicherheit und Zuwanderung geschlagen geben

von LUKAS WALLRAFF

Das Schlimmste, was einem Politiker passieren kann, ist Mitleid vom Gegner. Ganz besonders schmerzhaft ist diese Demütigung für einen Politiker, der eigentlich den harten Hund spielen soll – so wie Günther Beckstein (CSU), Kompetenzmann der Union für die Innenpolitik und Möchtegern-Nachfolger von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). „Sie sind heute aber aufgeregt, Herr Beckstein“, wunderte sich Schily am Montagabend, „so kenne ich Sie ja gar nicht.“

Einen Tag nach dem müden 0:0 im „TV-Duell“ der Spitzenkandidaten hat Schily seinem Kanzler gezeigt, wie man den Amtsbonus im Fernsehen ausspielt: mit einem an Arroganz grenzenden Selbstbewusstsein, Schlagfertigkeit und stoischer Ruhe. Vor 2,3 Millionen Zuschauern bei der ARD-Elefantenrunde zu innerer Sicherheit und Zuwanderung brachte Schily nicht nur Beckstein zur Verzweiflung. Auch dem CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gingen bald die Argumente aus, als er erklären sollte, warum das Land einen anderen Innenminister brauche. Was auch immer die Vertreter der Union vorbrachten – Schily bremste sie aus. Einsatz der Bundeswehr im Inland? Sei doch längst möglich. Ausweisung von gefährlichen Terroristen? Dito. „Ich muss Herrn Beckstein vorwerfen, dass er das Gesetz nicht kennt.“ Massenhafte Zuwanderung durch Rot-Grün? Das solle die Union doch bitte erst einmal beweisen. „So überwältigend sind die Zahlen nicht.“

Zweifellos kam Schily auch die freundliche Regie der ARD zugute. Sobald sich das Gespräch in Details zu verheddern drohte, wurden Filmchen eingespielt, die Schilys Wirken lobten. Der Innenminister lasse die Opfer der Hochwasserkatastrophe „nicht im Stich“, hieß es dann. Immer wieder wurde Schily gezeigt, wie er die Bürger schützt – mit Videoüberwachung und Sicherheitspaketen. Nicht zu Unrecht beklagte sich Beckstein am Ende über die „Einseitigkeit“ der Sendung – doch es klang genauso nach Eingeständnis seiner Niederlage wie die Forderungen aus der SPD nach Regeländerungen im nächsten Kanzlerduell.

Schily ließ sich rechts nicht überholen. Aber auch Kritik von links blieb ihm erspart. Petra Pau (PDS) kam kaum zu Wort. Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller hatte genug damit zu tun, ihre Unterstützung für Schilys Law-&-Order-Politik zu begründen. Linken Grünen-Wählern dürfte der ständig wiederholte Verweis auf „den 11. September“ allerdings kaum reichen.

Neben Schily gab es nur einen Sieger: Jürgen W. Möllemann. Auf seine antisemitischen Äußerungen wurde er weder von Schily noch von Pau und Müller angesprochen. Zum Dank machte er die Strategie der Union zunichte. „Schärfere Gesetze“ à la Beckstein werde es mit der FDP nicht geben, versprach Möllemann – und durfte sich über seine gelungene Resozialisierung freuen.

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