: Zeitkonto für Lehrer!
Abgeordnete von CDU, FDP, PDS, SPD und Grünen stellen sich im Schulzentrum Lange Reihe den Fragen der SchülerInnen – eigentlich, denn ein Pädagoge setzte sich über die Spielregeln hinweg
Am Anfang wehte ein Hauch von TV-Duell durch die Aula des Schulzentrums Lange Reihe in Walle. Politiker von CDU, FDP, PDS, SPD und Grünen waren geladen, um sich mit Fragen zu Militäreinsätzen und Wirtschaftspolitik, zu Katastrophenflut und Ausländerpolitik löchern zu lassen. Die Regel dabei: höchstens zwei Minuten für eine Antwort. An die Stelle von Peter Kloeppel und Peter Limbourg traten dabei rund 350 SchülerInnen, die meisten von ihnen Erstwähler.
Auf dem Podium saßen ganz links Heike Hay (PDS), dann der Reihe nach Marie-Luise Beck (Grüne), Volker Kröning (SPD), Claus Jäger (FDP) und Michael Bartels (CDU). Eine geplante Sitzordnung? „Nur ein kleiner Gag von mir“ erklärte der Lehrer Gert-Walther Krüger später. Er hatte die Veranstaltung organisiert, um seine Schüler zur Wahl zu motivieren: „Ich habe das Gefühl, dass die Partei der Nichtwähler mittlerweile die stärkste ist. Das muss sich ändern .“
Dafür taten die Politiker zunächst wenig: nichts Neues, alles schon zigmal gehört. Die Veranstaltung drohte einzuschlafen, als plötzlich etwas ungeplantes geschah: CDU-Bartels hatte gerade seine Zustimmung zu einem Krieg gegen den Irak betont, da erklang aus dem hinteren Teil des Saales eine laute Stimme und ein großer Mann kämpfte sich durch die Menge bis nach vorn. „Oh nein, Herr Werbig!“, murmelten einige Schüler, als sie ihren Lehrer erkannten. Am Mikrofon angekommen, kritisierte der Pädagoge lauthals die amerikanische Politik im Irak und das vermeintliche Nuklearwaffen-Monopol der USA. Das Resultat: aufgebrachte Politiker, verärgerte Lehrer – es sollte doch eine Schülerveranstaltung sein.
Aber wenigstens war die Diskussion nun angeheizt. Die SchülerInnen bombardierten die Politiker mit Fragen. „Wenn Sie wieder in die Atomenergie einsteigen, können Sie uns garantieren, dass durch einen Fehler nicht auch hier so etwas, wie in Tschernobyl passieren kann?“, fragte eine Schülerin Bartels. Der hatte Mühe, mit seiner Antwort gegen die Pfiffe anzukommen. Die CDU meine doch nur, dass Atomstrom O.K. sei, solange man nicht unbedingt regenerative Energie brauche. Schon beim eher mäßigen Begrüßungsapplaus am Anfang muss Bartels klar gewesen sein, dass er nicht der Favorit des Tages sein würde. So viele Buh-Rufe schienen ihn aber doch zu überraschen. Gelangweilt und auch ein bisschen grimmig saß der CDU-Politiker bis zum Schluss in seinem Stuhl und verließ dann als erster das Gebäude.
Auch bei den SchülerInnen, war zum Schluss nicht nur gute Stimmung zu spüren: „Sie verunsichern die Neuwähler total. Niemand sagt hier die Wahrheit, habe ich das Gefühl“, warf eine Schülerin den Politikern vor. Eine andere beschwerte sich hinterher leise über Michael Bartels: „Das war unter aller Sau. Der hat sich überhaupt nicht richtig für die Schüler interessiert.“
Trotzdem, Lehrer Krüger war sich am Ende sicher, dass es doch eine gute Erfahrung für die SchülerInnen gewesen sei – auch wenn nicht alles nach Plan verlaufen sei. „Wir werden die Themen jetzt intensiver im Unterricht besprechen“, versprach er. Außerdem beteiligt sich das Schulzentrum an der bundesweiten „Juniorwahl 2002“. Eine Woche vor der Wahl werden die Schüler tausender Schulen im Internet wählen. Das Ergebnis wird aber erst nach der Wahl bekannt gegeben.
Monika Vosough Mohebbi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen