: Moralkodex für Beamte
Per Ukas verordnet Russlands Präsident Wladimir Putin Staatsdienern neue Verhaltensregeln. Statt Willkür sollen jetzt Menschenrechte beachtet werden
MOSKAU taz ■ „Bei uns endet alles entweder mit einem Verbot oder einem Befehl. Wann endlich verbietet man uns, Flegel zu sein und heißt uns, anständige Menschen zu werden“, klagte der dichtende Fürst Pjetr Wjasemski vor 150 Jahren.
Jetzt ist es endlich so weit! Einen entsprechenden Ukas „Über die Bestätigung allgemeiner Verhaltensregeln von Staatsbediensteten“, erließ der russische Präsident Wladimir Putin vor wenigen Tagen. Der Vorstoß ist gedacht als ein Vorbote zu einer umfassenden Reform des russischen Verwaltungswesens. Die Präambel des zweiseitigen Moralkodexes enthält für Moskaus Beamtenschaft revolutionäre Neuigkeiten. „Anerkennung, Einhaltung und Verteidigung der Menschenrechte sowie bürgerlicher Freiheiten bestimmen den Sinn der Tätigkeiten des Beamten“, heißt es dort.
Heerscharen von Bürokraten glauben schlicht im falschen Film zu sitzen. Jahrhunderte lief es genau andersrum: Der Beamte entschied, was Recht war, wem Freiheit zustand, wer Mensch sein durfte, und wen er – wofür – von der eigenen Willkür verschonen würde. Da der russische Beamte notorisch schlecht verdient, hat er mit seinem Dienstherren ein stillschweigendes Übereinkommen getroffen. Als Ausgleich erhält er die Vollmacht, den Bürger nach Strich und Faden zu erpressen und auszunehmen.
Wer von der Beute mehr erhält, Staat oder Beamter, ist eine Frage des Verhandlungsgeschicks. Hier liegen die Wurzeln der Korruption, die nach landläufig russischem Verständnis keine ist. Denn ein Angestellter holt sich nur, was ihm zusteht.
Kremlchef Putin will damit jetzt aufräumen, ohne den Staatsbediensteten höhere Gehälter zahlen zu können. In der Dienstvorschrift erfährt der Beamte, dass es sich nicht geziemt, Schmiergelder zu nehmen und auf fremde Kosten nebst Gemahlin zum Shopping nach Paris zu reisen. All die kleinen Annehmlichkeiten sind auf einmal anrüchig. Plötzlich gibt es auch „Interessenkonflikte“, das Russische kannte diesen Begriff bisher nicht.
Darin bestand ja gerade der höhere Sinn des Amtes: Nutzung für private Geschäfte. Da fragt sich jeder Beamte, was der Unsinn soll? Zumal sich der Bann auch noch auf Familienmitglieder erstrecken soll. So etwas denkt sich nur aus, wer sein Schäflein im Trockenen hat.
Der russische Beamte kennt keine Ehrfurcht, zuallerletzt gegenüber dem eigenen Staat, dem er meist zynisch begegnet. Ein Beamter vertritt seine Interessen und die seiner Familie, die ihn wiederum auch einen Versager schimpft, wenn er nicht anständig absahnt. Wer in den Staatsdienst geht, ist schon als Schuft auf die Welt gekommen, glaubt der Volksmund. Dieser Spezies mit Menschenrechten zu kommen, ist so schwierig, wie einen Hecht mit Fischbesteck zu fressen lehren zu wollen.
Noch hat der Kodex empfehlenden Charakter, bis er als Gesetz vorliegt, werden wohl noch Jahre vergehen. Initiatoren des Projektes sind die ersten und letzten liberalen Geister in Russland, der ehemalige Vizeministerpraesident und Jelzin-Zögling Boris Nemzow, der engagierte Europapolitiker Wladimir Ryschkow und einige demokratische Hinterbänkler aus der Union der Rechtskräfte. Putin hat die Initiative nur aufgegriffen.
Verschwindet der Typ des parasitären Bürokraten, wird das schwerwiegende Folgen für die Literatur, sprich das Selbstverständnis, des Landes nach sich ziehen. Der Abstieg vom Weltniveau in die Kreisklasse wäre programmiert. Noch hält die Beamtenschaft die Initiative indes für einen besonders gelungenen Witz. KLAUS-HELGE DONATH
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