piwik no script img

Vom Sample auf die Füße

Eingegroovt aufs Kollektiv: Seit 20 Jahren jagt DJ Jazzy Jeff nun schon dem perfekten Beat hinterher. Als HipHop-Produzent formulierte er maßgeblich die Philosophie des neuen „Sound of Philly“ mit

von UH-YOUNG KIM

Wenn im Musikbetrieb von Legenden die Rede ist, bleiben verklärende Heiligsprechungen, zusammengewürfelte Best-of- oder halbgare Remix-Alben selten aus. Wenn sie dann auch noch paradoxerweise als „lebende Legenden“ in den Produktkatalog ihrer Plattenfirmen eingehen, dann lassen die Comebacks nicht lange auf sich warten, auch wenn das Wirkungsfeld der einstigen Originale inzwischen einem Friedhof der Jugendhelden gleicht. Die maximale Wertschöpfung schreibt eben ihre eigene Geschichte.

Doch von solchen ausgetrampelten Pfaden ist Jeffrey Allen Townes alias DJ Jazzy Jeff weit entfernt. Der 37-Jährige aus Philadelphia weiß nach rund zwanzigjähriger Karriere, wie viel ihm künstlerische Freiheit bedeutet. Lebendig und aussagefreudig erzählt er in Interviews von vergangenen wie von gegenwärtigen Zeiten, scratcht ein bisschen in der Luft, simuliert Reitbewegungen zu einem imaginären Groove und kennt kein Halten, wenn es um seine aktuellen Projekte geht.

Ein gewisser Legendenstatus ist Jazzy Jeff zwar kaum abzuerkennen, kann aber seine anhaltende Suche nach dem perfekten Beat nicht fassen. Doch statt sich darauf auszuruhen, als einer der Pioniere der HipHop-Kultur zu gelten, hat der Autodidakt und Netzwerkbündler nie aufgehört, an seiner eigenen Sound-Vision zu arbeiten. Dabei ist dem heutigen Paten des so genannten „Sound Of Philly“ (dem heute Erykah Badu, The Roots, D’Angelo zugerechnet werden) nicht weniger als die Geburt von HipHop aus dem Geiste des Soul sowie die Wiedergeburt von Soul aus der Matrix des HipHop gelungen.

In den frühen Achtzigern war Townes in Philadelphia einer der ersten DJs, welche die in New York ins Leben gerufene HipHop-Kultur entscheidend weiterentwickelten: Er erfand neue Scratch-Techniken, die heute zum Einmaleins eines jeden HipHop-DJs gehören und deren spielerischer Experimentiergeist die DJ-Königsdisziplin Turntablism nachhaltig durchsetzt hat. Mit Will „Ali“ Smith alias „The Fresh Prince“ brachte er Rapmusik in der zweiten Hälfte der Achtziger in die weißen Vororte. Für „Parents Just Don’t Understand“, „Summertime“ und „Boom (Shake The Room)“ gab es zwar haufenweise Grammys, aber auch den Ruf, ein bloßes Spaß-HipHop-Duo zu sein.

Als es seinen Rap-Partner nach Hollywood zog, wurde es still um DJ Jazzy Jeff. Bis vor zwei Jahren ein Album erschien, das wie keine andere Platte die Renaissance des Soul repräsentierte und seitdem – als Opus magnum des „Sound Of Philly“ – über eine Million vom Glauben Abgefallene zur Seele der Musik zurückgeführt hat. Das Debüt der HipHop-Poetin Jill Scott setzte dem seriell produzierten und sexistisch promoteten R ’n’ B-Pop einen handgemachten und persönlichen Ansatz entgegen, indem es die ausdrucksstarke Consciousness der Spoken-Word-Bewegung und das Gefühl des Siebziger-Souls mit den erfahrenen, druckvollen Produktionsmöglichkeiten von heute zusammenbrachte.

Ihr Album „Who is Jill Scott?“ kam aus Jazzy Jeffs A-Touch-Of-Jazz-Studio: Hier hatte der Don von Philadelphia seit Anfang der Neunziger die originäre HipHop-Technik des Samplens von Soulmusik quasi auf den Kopf gestellt. Statt vier Takte einer alten Platte digital zu kopieren, versammelte Townes wieder Instrumentalisten in seinem Studio, um „die Magie des Samples“ neu zu erschaffen: „Die kommt nicht dadurch zustande, dass ich allein vor meinem Computer sitze. Der Groove liegt im Kollektiv.“

Aus dieser Überzeugung ist mit der Zeit ein familiäres Bündnis aus hochklassigen Musikern und Produzenten gewachsen, das in seinem Session-Prinzip unbewusst an die Tradition der einstigen Soul-Schmiede des Labels Philadelphia International anknüpft, seine Künstler mit ruhiger Hand aufbaut und selbst Michael Jacksons letztem Album-Flop den einzigen zeitlosen Song beschert hat.

Auf seinem eigenen, ersten Solo-Album „The Magnificent“ präsentiert Jazzy Jeff nun ein Kaleidoskop seiner Soulfulness: von herzzerreißenden Liebes-Croonern über zurückgelehnten HipHop mit Hilfe unentdeckter Mikrofon-Talente bis zum Zauber von „We Live In Philly“, in dem Jill Scott über einem epischen Remake des Roy-Ayers-Klassikers „We Live In Brooklyn, Baby“ zu einer Traumreise durch Philadelphia einlädt.

In der besten Tradition afroamerikanischer Musik lässt sich der experimentelle Pioniergeist des Jazzy Jeff von alten Tagen inspirieren und übersetzt dies in ein gegenwärtiges Blueprint von Soulmusik, so dass sich ein kontinuierlicher und universeller Kreis vom Alten zum Neuen schließt. Solange die beseelten Produktionen aus dem Hause „A Touch Of Jazz“ weiter so rund und warm fließen, bleibt den Liebhabern des Old-School-Raps also eine Reunion-Tour von DJ Jazzy Jeff mit Will Smith – so einträglich sie inzwischen auch sein dürfte – erspart.

DJ Jazzy Jeff: The Magnificent (BBE/K7)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen