piwik no script img

Die Kosmetikerin

Wenn PR-Strategen die Fakten nicht ändern können, dann lesensie die Fakten neu

von UTA ANDRESEN

Man ist unter sich. Das mag der Grund sein. Oder dass sie es für ihre bürgerliche Pflicht hält, auszusprechen, was sie denkt. Und dass es ja oft genug nützt. Wie dieses Mal auch. Jedenfalls sagt Erika Steinbach auf dem CDU-Kongress für Heimatvertriebene und Spätaussiedler in Berlin: „Was die Tschechen derzeit mit den Sudetendeutschen treiben, ist Rassismus.“

Rassismus. Das ist selbst einem ihrer Kollegen aus der CDU-Bundestagsfraktion zu viel, und er korrigiert sie. Rassismus sei wohl ein etwas zu grundsätzlicher Begriff dafür, dass die Tschechen sich weigerten, die Vertreibungsdekrete als Unrecht anzuerkennen. Erika Steinbach verzichtet mit einem feinen Lächeln auf Gegenrede. Die Botschaft ist ja auch angekommen. Wieder einmal „Sprachrohr und Anwalt jener, die sich nicht selbst artikulieren können“.

Dass die harsche Haltung der Tschechen Ursachen hat, dass vertriebene Sudetendeutsche auf Rückgabe ihres einstigen Eigentums in Tschechien klagen, in Marienbad mit einem „Alles unser“ aus Reisebussen quellen, dass der Bund der Vertriebenen den EU-Beitritt der Tschechen verhindern will – das sagt Erika Steinbach auf dem Podium nicht.

Die Schuldigen, das sind die anderen.

Natürlich würde sie, Erika Steinbach, geboren 1943 in Rahmel, Westpreußen, Abgeordnete der CDU und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), diesen Satz nie aussprechen. Auch morgen nicht, auf dem Festakt zum Tag der Heimat, oben auf der Bühne in der Komischen Oper Berlin, vor rund tausend Gästen und Vertretern ihres Verbandes. Aber heraushören lässt sich dieses Motiv aus dem, was sie sagt. Sie hat ja auch eine Minderheit zu vertreten: zwei von über 14 Millionen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Mittel- und Osteuropa vertrieben wurden.

Wer könnte das besser als diese Frau? Elegant im Auftritt, jovial im Umgang, interessenfixiert in der Sache. Und dann noch, mit 59, in einem Alter, das beweist, dass die Erlebnisgeneration des BdV vielleicht dahinsiecht, dass ihre politischen Anliegen aber noch Vertreter im besten Alter finden. „Dass ich keine seelische Verwundungen mit mir trage, macht mir die Verbandsarbeit nur leichter“, erklärt sie.

Erika Steinbach sagt über sich selbst, sie sei ein schüchternes Kind gewesen. Eines von denen, die auf ein Mädchengymnasium gehen, sich mit dem Urfaust in den Park zum Lesen verkrümeln und Geige spielen lernen, um später in einem Orchester zu arbeiten. Sie hat ihr Instrument so lange geübt, bis der Finger ganz krumm wurde vor Disziplin. „Ich brauchte stabilisierende Ordnung“, sagt sie. Möglicherweise hat das mit den Jahren zuvor zu tun. Die Jahre, die sie mit ihrer Mutter und Schwester auf verschiedenen Höfen bei Husum und Flensburg verbringt, als Heimatvertriebene einquartiert, als „Kakerlaken“ von den Bauern beschimpft, oft hungrig, immer in Sehnsucht nach dem Vater, der im Osten Kriegsgefangener ist und der, als er dann zurückkommt, ein Fremder für sie wird, ein Konkurrent um die Aufmerksamkeit der Mutter.

Damit ein solches Mädchen in die Politik geht, muss schon etwas passieren. Erika Steinbach passierte Joschka Fischer. Eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen und Mietspekulanten, bei der er wohl mitmarschierte, wie er es eben tat, Ende der Sechzigerjahre, in Frankfurt am Main. Zumindest glaubt das Erika Steinbach. Auf jeden Fall steht die damalige Informatikerin und Verwaltungsangestellte – ihre Geigenkarriere war an dem Finger gescheitert – Stunden in der Frankfurter Innenstadt im Stau und findet darüber ihren Weg in die CDU. „Autos waren in Brand, die Straßen blockiert von Joschka und Co. – Demonstrieren ist ja in Ordnung, aber das war eine Zumutung, es war Straßenkrieg.“ Ähnliche Zumutungen findet sie immer wieder. Wie Asylmissbrauch. Homoehe. Abtreibung.

Vor vier Jahren, sie führte noch nicht lange den BdV, enthüllte die polnische Zeitung Rzeczpospolita, Erika Steinbach sei gar keine Vertriebene. Ihr Vater habe als Besatzungssoldat in Westpreußen gedient, die Mutter sei von dort schlicht mit den Kindern in den heimatlichen Westen geflohen. Wozu die Aufregung? Damals gelingt Erika Steinbach eine Parade, die sie heute noch einsetzt: „Man muss ja auch kein Wal sein, um sich für Wale einzusetzen.“ Es ist nicht der Satz, der etwas über sie verrät. Der ist höchstens kokett für eine wohlfrisierte Endfünfzigerin, die auch als Repräsentantin eines Kosmetikkonzerns durchginge. Es ist die Glattheit, mit der sie ihn formuliert. Erika Steinbach ist keine Vertriebene. Erika Steinbach ist die PR-Tante der Vertriebenen.

Unter dem heimatbedingten Bauchweh von Männern wie Herbert Czaja und Herbert Hupka ist der BdV immer weiter nach rechts gerutscht. Die Ostpolitik Willy Brandts? Der Sündenfall! Die Polen, die Tschechen, die Ungarn? Vertreiber, Verbrecher! Das Land um Königsberg und Prag? Alles deutsch! „Als ich das Amt übernahm, gingen selbst in meiner eigenen Partei manche zunächst zwei Schritte vor mir zurück“, sagt Erika Steinbach. Was also tun?

Erika Steinbach tut, was PR-Strategen zu tun pflegen, wenn sich die Fakten nicht ändern lassen: Sie lesen sie neu. Dabei kommt der Balkankrieg, an dem sich die rot-grüne Regierung beteiligt, wie gerufen. Seht her, die Bosnier: Vertreibungsopfer, wie wir es damals waren! So hat Erika Steinbach einen Prozess moderiert, an dessen Ende mit Kanzler Gerhard Schröder im September 2000 nach Jahrzehnten wieder ein Sozialdemokrat auf einem Tag der Heimat spricht. Erstmals schenkten die Linken den Vertriebenen, diesen ungeliebten Zwitterwesen aus Mittätern und Malträtierten, wieder Gehör.

Zwitter. Klar, dass so ein halbseidener Zustand nicht gut zu verkaufen ist. Werbung braucht einfache Botschaften. Also weiter in der PR-Strategie. Im Juni, kurz vor dem Besuch des deutschen Bundespräsidenten in Prag, schreibt Erika Steinbach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Die ersten Opfer Hitlers in der Tschechoslowakei waren Sudetendeutsche. Tausende sudetendeutsche Hitlergegner, unter ihnen viele Sozialdemokraten, wurden verhaftet. Fast 8.000 verschwanden in Konzentrationslagern. 30.000 politische sudetendeutsche Flüchtlinge suchten nach dem Münchner Abkommen Zuflucht in der Rest-Tschechoslowakei, als deren loyale Staatsbürger sie sich fühlten. Doch die tschechischen Behörden lieferten sie an Nazi-Deutschland aus.“ Wer erkennt hier noch Halbheiten?

Wozu da noch Worte über das Gros der Sudetendeutschen, die einen Anschluss ihres Siedlungsgebietes an Nazi-Deutschland forderten? Über die Anhänger der deutschnationalistischen Henlein-Partei, die sich nach der Machtübernahme Hitlers groß fühlten und das ihre tschechischen Nachbarn auch spüren ließen? Über das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“, in dem über 100.000 Tschechen in KZs gefoltert und ermordet wurden? Die deutschen Vertriebenen waren die Opfer. Mehr noch, sie waren NS-Widerstandskämpfer!

In der Zeit nach dem Krieg beschimpften die Bauern sie, ihre Mutter und ihre Schwester als Kakerlaken

Vielleicht besteht die eigentliche Verführung der Werbung darin, dass ihre Macher glauben, sie auf die Spitze treiben zu müssen, um Wirkung zu erzielen. Kuschelweich. Superzart. Porentief rein. Mag sein, dass Erika Steinbach deshalb in ihrem Büro Besuchern ihre Opfertheorie präsentiert. „Ich kann Opfer nicht nach gut und schlecht klassifizieren, jedes hat seine eigene Menschenwürde.“ Politische Opfer. Vertreibungsopfer. Holocaustopfer. Alles das Gleiche. „Im Grunde waren die Juden Hitlers erste Vertreibungsopfer“, sagt Erika Steinbach. Juden sind Vertreibungsopfer. Sind dann Vertriebene nicht auch so etwas wie Juden? Und wer ist schon mehr Opfer als die Juden? Für eine Frau, die sich jahrelang für die „Women’s International Zionist Organisation“ engagiert hat, eine verwegene Verkaufe. Aber im Grunde ist es doch nur ein Fakt, neu gelesen.

So ein Werbespot ist heikel, zumindest mit Statisten, wie sie beim BdV am Set zu finden sind. Da müssen Auschwitz-Leugner wie der Vizevorsitzende Paul Latussek, jahrelang geduldet, gehen. „Wäre er geblieben, wäre ich heute nicht mehr Präsidentin.“ Nun aber ist der Verband blütenrein und opferzart.

Die Schuldigen, das sind die anderen.

So war es schon in ihrer eigenen Familie, damals, unter den Nationalsozialisten. Saß der Großvater nicht als Kommunist im KZ? War der Vater, Soldat bei der Luftwaffe und später fünf Jahre Kriegsgefangener in Murchansk, nicht viel zu jung, um Hitler zu wählen? Wurde die Mutter nicht als Bürokraft von der Wehrmacht kurzerhand nach Rahmel, Westpreußen, dienstverpflichtet? „Die meisten Menschen werden Opfer ihrer Regierungen“, sagt die Tochter. Die Nazis, das waren die anderen.

Diese Gewissheit muss dem Nachkriegskind manche politische Entscheidung der letzten Jahre erleichtert haben. Etwa den Entschluss, die Oder-Neiße-Grenze zwischen Deutschland und Polen nicht anzuerkennen. „Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt.“ Etwa ihre Ablehnung der deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung. „Eine Schlussstricherklärung.“ Oder ihr Versuch, gegen die Wehrmachtsausstellung in Frankfurt eine Protestveranstaltung in der Paulskirche zu organisieren, was ihre eigene Partei unterband. Mag sein, dass diese Gewissheit ihr es auch erleichtert, zu propagieren, dass die erste Strophe des Deutschlandslieds wieder gesungen wird. „Deutschland, Deutschland über alles“ – Erika Steinbach sagt: „Alle drei Verse sind Ausdruck von Vaterlandsliebe und Friedfertigkeit“.

Manchmal, erzählt Erika Steinbach, wünscht sie sich eine Zeitmaschine, um sich in die damaligen Monate der Vertreibung zurückversetzen, sie erleben zu können. Das, so viel ist sicher, unterscheidet sie von den Vertriebenen, für die sie zu sprechen glaubt. Und von ihrer Mutter, die erst fünf Jahre vor ihrem Tod in der Lage war, aufzuschreiben, was sie erlebte, und der dann immer noch zwei Wochen Flucht fehlten. Wie weggewischt aus ihrem Gedächtnis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen