Kein Rückschritt ist Fortschritt

Nach zähem Verhandeln ist das Kompromisspaket auf dem Gipfel fast fertig. Kein Durchbruch, sondern Verweise auf andere UN- und WTO-Konferenzen

„Was einen Plan zur Bekämpfung der Armut angeht, war der Gipfel bisher eine Enttäuschung“

aus Johannesburg BERNHARD PÖTTER

6.000 hüfthohe Figuren aus Pappmaché drängeln sich auf einem kleinen Rasenstück gegenüber dem Tagungszentrum von Sandton. Über ihnen thront ein sechs Meter großer Riese aus Schrott, der die Logos von Exxon, Shell und Monsanto trägt und eine Weltkugel in der Hand hält. Die Figuren, jede steht für eine Million Erdbewohner, haben die Münder zum Schrei aufgerissen. „Big Business darf die Welt nicht regieren –hört unsere Stimme!“ ist die Botschaft der Umweltschützer von „Friends of the Earth“ an die Delegierten auf der anderen Straßenseite.

Aber die Stimmen der Aktivisten hört man kaum. Das liegt am Lärm der beiden Polizeihubschrauber, die in niedriger Höhe über der Veranstaltung kreisen. Und auch bei den Delegierten im abgeschirmten Tagungszentrums kommt nicht viel vom Protest der Umwelt- und Entwicklungsgruppen an. Entsprechend mager sind aus deren Sicht deshalb auch bisher die Ergebnisse, die bei den Verhandlungen zu einem Aktionsprogramm für die Umsetzung der Rio-Ziele von 1992 erreicht worden sind.

Immerhin feierte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die gestrige Einigung über die Klimapolitik als „kleinen Durchbruch“. Dabei einigten sich die Unterhändler nur auf die Textpassage: „Staaten, die das Kiotoprotokoll ratifiziert haben, fordern eindringlich die Staaten auf, die das nicht getan haben, dies zur rechten Zeit zu tun.“ Das Thema wurde „auf dem Stand der Klimakonferenz von Bonn 2001“ angesprochen, sagt Stefan Singer vom World Wide Fund for Nature (WWF).

Aber alle haben gelernt, mit dem Minimum zu rechnen. So klingen dann auch die Verhandlungsergebnisse wie kleine Erfolge: Bis 2015 sollen die Fischbestände sich von der Überfischung erholen können – „wenn möglich“. Die schädliche Wirkung von Chemikalien auf die Gesundheit soll bis 2020 „minimiert“ werden. Es wird ein Zehn-Jahres-Programm geben, um Konsum und Produktion auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Und das Artensterben soll bis 2010 „signifikant reduziert werden“. Damit, so Bundesumweltminister Jürgen Trittin, hätten sich die USA dem Ziel der Artenschutzkonvention angeschlossen, auch wenn sie diese Übereinkunft nicht unterzeichnet haben. Und überhaupt, so Trittin, sei es ein Erfolg, dass sich die USA in Johannesburg auf Zeitlimits eingelassen haben – auch wenn es dabei große Schlupflöcher gibt. Auch die Umweltverbände denken in dieser heißen Phase der Verhandlungen taktisch. Die Erwähnung des Kiotoprotokolls sei zwar inhaltlich eine Luftnummer, heißt es, aber immerhin wurden damit die USA und Australien als Bremser im Klimaprozess isoliert. Auf der anderen Seite hoffen die Verbände, dass für dieses rein formale Zugeständnis nicht etwas Substanzielles wegverhandelt wurde.

Wenn die Regierungschefs heute reden, soll die Arbeit getan sein. Aber dicke Brocken liegen noch im Weg

Denn das Fingerhakeln über einzelne Abschnitte ging gestern den ganzen Tag weiter und sollte in der Nacht zu Montag abgeschlossen werden, erwarten Delegierte. Wenn heute die Regierungschefs reden, sollte die Arbeit gemacht sein. Zwar lagen gestern Abend noch ein paar dicke Brocken einer Einigung im Weg. So blockierten die USA weiterhin den Vorschlag der EU, bis 2015 die Zahl der Menschen, die ohne Abwassersystem leben müssen, zu halbieren. Der von den NGOs bejubelte Vorstoß Brasiliens, bis 2010 insgesamt 10 Prozent der Weltenergie über nachhaltige erneuerbare Energien abzudecken, erreichte nicht mal das Stadium eines formellen Vorschlags: Die Opec-Gruppe in der G-77-Gruppe der Entwicklungsländer wischte die Idee vom Tisch. Die Opec habe sogar gedroht, die G 77 über dieser Frage zu verlassen, kolportiert die deutsche Delegation. Nun gilt der EU-Vorschlag, 15 Prozent erneuerbare Energien anzustreben und die umweltschädlichen großen Stauseen mitzurechnen, als die „grünste“ Idee am Verhandlungstisch.

Bei den wirklich entscheidenden Fragen wie der Höhe der Subventionen für die Agrar- und die Energieindustrie in den Industrieländern oder dem erleichterten Marktzugang für Entwicklungsländer verweist der Text nach Angaben aus Verhandlungskreisen auf die Ergebnisse der Handelsrunde von Doha. Gefordert wird eine Reform der umweltschädlichen Subventionen und ein „Ausblick auf ein Auslaufen der Agrarsubventionen“. Der Passus zu Zahlungen, die den Wettbewerb verzerren, ist ebenso aus dem Papier verschwunden wie die Frage des Marktzugangs für Entwicklungsländer. In dem Kompromisspaket, das in seiner Gesamtheit noch einmal bestätigt werden muss, sind die Bestimmungen zu Ökosiegeln und fairem Handel auf Betreiben der G 77 abgeschwächt worden. Dafür werden „innovative Finanzressourcen“ erwähnt, die zu den von Deutschland geforderten Steuern auf Devisen, Flugbenzin und Schiffsdiesel führen könnten. Erwähnt im vorläufigen Konsenstext ist auch die Unternehmenshaftung, für welche die Umweltverbände so heftig Lobbyarbeit gemacht hatten.

In der wirklichen Welt hat ein solcher Kompromiss wenig Auswirkungen. Angesichts der Hungerkatastrophe, die bis Ende des Jahres im südlichen Afrika 13 Millionen Menschen bedroht, urteilte die britische Entwicklungsorganisation Oxfam gestern, der Gipfel tue nichts, um dieses Problem anzugehen „oder eine ähnliche Krise in der Zukunft zu verhindern“. Barbara Stocking, Chefin von Oxfam erklärte: „Was einen wirklichen Plan zur langfristigen Bekämpfung der Armut angeht, zum Beispiel durch eine Lösung bei den Agrarsubventionen, war der Gipfel bisher eine traurige Enttäuschung.“