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Wie gerecht wird das Gericht?

Bei der ersten Konferenz der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes geht es um die Modalitäten zur Wahl der RichterInnen und der Anklage – und es gibt Streit. Auf den Staaten lastet der Druck aus Washington, US-Bürger zu schützen

„Stellen Sie sich vor, Ihnen blicken 18 weiße Westeuropäer entgegen“

aus New York ANDREAS ZUMACH

In der New Yorker UNO-Zentrale beginnt heute die erste Konferenz der bislang 78 Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH). Mitglieder sind jene Länder, die das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getretene Statut des IStGH nicht nur unterschrieben, sondern auch ratifiziert haben. Auf der Tagesordnung der Konferenz stehen Entscheidungen über die Wahlverfahren für die RichterInnen und den/die ChefanklägerIn sowie das Budget des IStGH. Überschattet wird die Konferenz von den hartnäckigen Bemühungen der USA, in bilateralen Abkommen mit über 150 Staaten einen Immunitätsschutz für US- BürgerInnen vor dem Gerichtshof durchzusetzen.

Den größten Diskussionsbedarf gibt es in New York beim Verfahren für die Wahl der 18 RichterInnen, die noch in diesem Jahr auf einer weiteren Konferenz erfolgen soll. Ein nur scheinbar trockenes, tatsächlich aber ein hochpolitisches Thema. „Das Richtergremium, dessen 18 Mitglieder nach der Wahl mit Bild und Namen im Internet und über andere Medien weltweit bekannt werden, ist die Visitenkarte dieser neuen Institution“, erklärte der Delegationsleiter eines IStGH-Mitgliedslandes im Vorfeld der New Yorker Konferenz gegenüber der taz. „Stellen Sie sich vor, Sie schlagen die Webseite des IStGH auf, und da blicken Ihnen 18 weiße männliche Westeuropäer im Alter von über 75 entgegen.“

Zumindest theoretisch könnte es so schlimm kommen. Denn das 1998 in Rom verabschiedete Statut des IStGH macht für die Wahl nur zwei formal verbindliche Vorgaben: unter den 18 RichterInnen müssen „mindestens neun Strafrechtler“ und „mindestens fünf Völkerrechtler“ sein. Lediglich durch eine Sollbestimmung des Statuts werden die Mitgliedsstaten aufgefordert, bei der Wahl der 18 RichterInnen auch die „Notwendigkeit zu beachten“, dass „die wesentlichen Rechtssysteme dieser Welt vertreten“ sind, dass alle Weltregionen „gleichmäßig repräsentiert“ werden und dass die Verteilung der 18 Posten auf Frauen und Männer „fair“ ist. Eine weitere Sollbestimmung hält die Mitgliedsstaaten dazu an, auch auf „spezifische rechtliche Erfahrungen“ der KandidatInnen zu achten, „einschließlich der Erfahrung mit Gewalt gegen Frauen und Kinder“.

Da das IStGH-Statut selber nicht mehr verändert werden kann, haben die Schweiz und andere Staaten der New Yorker Konferenz vorgeschlagen, Minimalvoraussetzungen für die Gültigkeit der Wahlzettel zu beschließen. Danach soll zum Beispiel der Wahlzettel eines Landes nur gültig sein, wenn darauf mindestens sechs weibliche Kandidatinnen angekreuzt sind sowie eine Minimalzahl von Bewerbern aus jeder Weltregion. Eine Reihe von Staaten – darunter die gewichtigen EU-Mitglieder Frankreich und Großbritannien – lehnen solche Regelungen rundweg ab.

Die afrikanische Staatengruppe unter den IStGH-Mitgliedern ist zwar an einer fairen Verteilung der Richterposten auf Frauen und Männer nicht sonderlich interessiert, möchte andererseits aber noch weitergehende Bestimmungen für die Regionalverteilung. Danach soll jeder Regionalgruppe noch vor der Richterwahl vorab eine feste Anzahl von Plätzen zugesprochen werden – so wie es in vielen UNO-Gremien üblich ist.

Vorschläge, die über die Festlegungen im IStGH-Statut hinausgehen, bedürfen auf der New Yorker Konferenz für ihre Annahme eines Konsenses aller 78 Teilnehmer. Bereits auf der letzten Vorbereitungstagung im Juli war der Versuch der Schweiz mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen, Kriterien für das Verfahren zur Wahl des Chefanklägers festzulegen, um der sonst üblichen Mauschelei und mangelnden Transparenz bei der Vergabe internationaler Posten vorzubeugen.

Im Konsens dürfte in New York das erste Budget des IStGH verabschiedet werden. Es beträgt für die Zeit vom 1. September dieses Jahres bis zum 31. Dezember 2003 rund 30 Millionen Euro. Finanziert werden soll das IStGH-Budget durch die Mitgliedsstaaten, die – wie beim UN-Haushalt – je nach Größe und Wirtschaftskraft auf einen prozentualen Beitragsanteil veranschlagt werden.

Rätselraten herrschte in New York bis zuletzt, ob die USA an der Konferenz teilnehmen werden. Als urprünglicher Unterzeichner des IStGH-Statuts (die Unterschrift wurde inzwischen von der Bush-Administration zurückgezogen), hätte Washington formal das Recht, Beobachter zu entsenden. Doch selbst wenn das nicht geschieht,werden die USA wie ein drohender Schatten präsent sein. Viele der 78 Teilnehmerstaaten der Konferenz stehen unter massivem Druck aus Washington, bilateralen Abkommen zum Immunitätsschutz von US-Bürgern vor dem IStGH zuzustimmen.

Nachdem die EU auf ihrer Außenministertagung am Wochenende nicht die von vielen Ländern erhoffte klare Ablehnung dieses Ansinnens der USA beschlossen hat, dürfte der Druck aus Washington noch zunehmen. Das Thema steht zwar offiziell nicht auf der Tagesordnung. Doch die Schweiz, Kanada und Neuseeland wollen eine Sonderdebatte zu den von den USA angestrebten bilateralen Verträgen beantragen. Großbritannien möchte dies – in Absprache mit den USA – auf alle Fälle verhindern und hat daher den jordanischen Konferenzvorsitzenden „dringend ersucht“, Wortbeiträge und Diskussionen zum Vorgehen der USA „strikt zu unterbinden“.

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