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Zwei Wecker für die Schülerin

Sie will jede Stunde nutzen, erst recht, seitdem sie ihre Fortschritte spürt

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

3. Juni 2002

Beim Betreten des Raumes soll sich jeder in die Anwesenheitsliste eintragen. Um 8 Uhr muss „Lernbereitschaft“ hergestellt sein. Geraucht werden darf nur auf dem Balkon, gegessen und getrunken nur im Pausenraum. Wer krank ist, muss das sofort melden. Sonst kürzt das Arbeitsamt die Leistungen. Kaffee, Milch und Zucker werden „im Solidaritätsprinzip“ mitgebracht. Vormittags, mittags und nachmittags gibt es je 30 Minuten Pause. Kein Urlaub. An diese Spielregeln muss sich Jutta Philipp in den nächsten drei Monaten halten. Die 42-jährige arbeitslose Buchhalterin macht zusammen mit 35 weiteren Teilnehmern bei der Wirtschafts- und Sprachenschule K. Paykowski GmbH in Berlin einen dreimonatigen „IT-Workshop für Einsteiger“. Zielgruppe sind „Arbeitssuchende aus allen Bereichen, die ihre EDV-Kenntnisse den Erfordernissen des Arbeitsmarktes anpassen wollen“. Prinzip des Kurses ist, dass die Teilnehmer größtenteils selbstständig am PC arbeiten, nach einem auf sie zugeschnittenen Programm.

Am Morgen war Jutta Philipp etwas nervös. Nur so kann sie es sich erklären, dass sie eine Stunde zu früh da war. „Eigentlich bin ich Langschläfer“, sagt sie. Ihr war entgangen, dass es erst am zweiten Tag um 8 Uhr losgeht.

Aufmerksam hört Jutta Philipp zusammen mit sieben anderen Neulingen dem Workshop-Leiter zu. Auf den Tisch vor sich hat sie einen Schreibblock und eine Federtasche mit Mickey Mouse und Goofy gelegt, der auf einem Stuhl mit der Aufschrift „Director Computer“ sitzt. „Die ist noch von meiner Umschulung zur Bürokauffrau“, erzählt sie lachend. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem Amethyst. Der violette Stein steht für Konzentration, Stärke und Mut.

Den Einzug des Computers in die Buchhaltung hat die gebürtige Duisburgerin, die seit 20 Jahren in Berlin-Kreuzberg lebt, verpasst. Sechs Semester Völkerkunde. Zwei erwachsene Töchter. Jobs als Schneiderin und in der Gastronomie. Umschulung zur Bürokauffrau. Fünf Jahre Buchhalterin in einer Bauschlosserei, wo „die Stullen in Lieferscheine eingewickelt wurden“. Wegen Stellenkürzung gekündigt. Ein Jahr Arbeitslosigkeit und Bezug von Arbeitslosengeld. Ausflug in die Selbstständigkeit mit Aromatherapie und astrologischer Beratung, gefolgt von der Erkenntnis, dass das „brotlose Kunst“ ist. Seit Anfang des Jahres ist sie wieder arbeitslos. Bis zum Beginn der Fortbildung bekam sie 650 Euro Arbeitslosenhilfe. Für die Dauer der Maßnahme stehen ihr 780 Euro Unterhaltsgeld zu.

Bevor die neuen Teilnehmer einen eigenen Arbeitsplatz mit Computer zugewiesen bekommen, sitzen sie im Aufenthaltsraum, stellen sich vor und formulieren ihre Erwartungen. Jutta Philipp sagt: „Ich bin froh, hier sitzen zu können. Ich will meinen Horizont über die Stellenanzeigen in den großen Zeitungen und den Stelleninformationsservice vom Arbeitsamt hinaus erweitern.“ Der Leiter des Workshops kommentiert ihre Erfolgsaussichten: „Es geht darum, den Anfordernissen zu genügen, die in jeder Anzeige drin sind. Wir legen bei Ihnen einen Schwerpunkt auf Excel. Drei Monate sind nicht viel. Aber ich denke, wir kriegen es hin.“

10. Juni 2002

„Es kommt was bei rum.“ So lautet das Fazit von Jutta Philipp nach der ersten Woche. Sie hat jetzt eine ungefähre Vorstellung von dem E-Mail-Programm „Outlook“. Das hat sie auch zu Hause, nur wusste sie es nicht zu nutzen. Mittlerweile weiß sie: „Es ist eine kleine, feine Sache.“ Über Excel sagt sie: „Das kann man in jedem Büro einsetzen, ob bei der evangelischen Kirche oder einem Verlag.“ Sie hat Übungsdatenbanken zu den Programmen abgerufen und gelernt, eckige Klammern zu setzen und Fenster auf die richtige Größe zu klicken.

Überrascht hat Jutta Philipp, dass ihr Datenbankverwaltung gefällt. „Ich dachte, das wäre so eine trockene Sache.“ Auch die Arbeitsplatzsuche, Teil der Fortbildungsmaßnahme, brachte eine Erkenntnis. Sie hat gemerkt, dass ihre 20 Bewerbungen im vergangenen halben Jahr „nicht so glücklich im Ton getroffen waren“. Jetzt erst ist ihr klar, warum. „Irgendwo hatte ich schon einen resignativen Punkt. Dann schickt man eben Standardmüll.“

Während andere Kursteilnehmer mit ihrem mitgebrachten Essen im Aufenthaltsraum sitzen, nutzt Jutta Philipp die Mittagspausen, um die Gegend am nördlichen Rand von Berlin-Mitte zu erkunden. Manchmal setzt sie sich in den kleinen Park gegenüber, isst dort ihre Brote oder geht spazieren. Hat sie keine Lust gehabt, morgens Brote zu schmieren, geht sie in eine Pizzeria oder zu einem Imbiss.

4. Juli 2002

Jutta Philipp ist leicht genervt. Auf dem Bildschirm hat sie eine Tabellenkalkulation mit Provisionssätzen und Höchst- und Niedrigstangeboten eines Immobilienprogramms. Sie soll daran den Einsatz von Funktionen üben und den Rechner alle möglichen Berechnungen anstellen lassen. Aber irgendwas klappt nicht. „Ich hab doch alles richtig gemacht. Ich verstehe das nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Nach mehrmaligem Nachschlagen im Übungsbuch hat sie Erfolg und freut sich. „Na also.“

Tag für Tag am Computer sitzen, viel Kaffee, wenig Bewegung und jede Menge Formeln, Funktionen und Programme machen sich bemerkbar. „Manchmal habe ich abends das Gefühl, meine Beine nicht mehr zu spüren.“ Jutta Philipp spricht von „müßiger Fleißarbeit“ und ersten Erfolgen. Ihr Resümee: „Am Anfang sieht man die vielen neuen Horizonte, doch bis man ankommt, dauert es.“ Aber: „Es ist fürs Selbstwertgefühl gut, wenn es geistig vorangeht.“ Neben ihrem Computer liegen zwei Tannenzapfen. Die hat sie auf einem Spaziergang in der Mittagspause gefunden. „Ich habe gerne etwas Lebendiges um mich.“

Fünf Bewerbungen hat sie bisher geschrieben. Vier an Baufirmen, eine an die evangelische Kirche. Im Unterschied zu früher bemüht sich Jutta Philipp, „auf den Anzeigentext einzugehen“ und „keine Standarddinge mehr rauszuschicken“. Nur ein Unternehmen hat bisher den Eingang ihrer Bewerbung bestätigt. Sie ist unsicher, ob sie bei den anderen „nachhaken“ soll. „Macht man sich dann unbeliebt?“ Sie zuckt mit den Schultern. Aber eins weiß sie: „Ich möchte bald nach dem Kurs einen Job, sonst vergesse ich das Gelernte.“

Wie sie das Arbeitsamt bewertet? Das „Nicht gut“ ersetzt sie durch ein „Richtig schlecht“

Jutta Philipps Motivation ist gut. Nur einmal kam sie einige Stunden zu spät. „Was Beziehungstechnisches“, sagt sie. „Hat sich jetzt aber erledigt.“ So wie sie dabei lacht, scheint es zu stimmen. Die Atmosphäre im Kurs gefällt ihr. „Es gibt kein Konkurrenzdenken, es ist sehr kollegial und lustig.“ Auch mit den Dozenten ist sie zufrieden. „Die klappern nicht nur den Stoff runter, sondern bauen auch mal Fallen ein, um Bezüge aufzuzeigen.“ Nur das Internet, so bedauert sie, sei bisher etwas kurz gekommen. Das liegt daran, dass der zuständige Dozent Vater geworden ist. „Wir warten sehnsüchtig.“ Ihre bisher einzig negative Erfahrung: „Die Moral beim Kaffeekochen sinkt.“

19. Juli 2002

Am Eingang zum Schulungsraum liegt neben der Anwesenheitsliste eine zweite Liste. Darauf stehen Namen von Kursteilnehmern, deren Bewilligungsbescheide vom Arbeitsamt zur Finanzierung der Fortbildung fehlen. Jutta Philipps Name ist auch dabei. Sie zuckt mit den Schultern. „Dreimal sagte mir der Sachbearbeiter, ich würde Bescheid bekommen.“ Das war vor Beginn der Fortbildung und seitdem hat sie nichts mehr gehört.

Jutta Philipp sieht müde aus. Sechs Wochen am Bildschirm hinterlassen Spuren. „Die Sitzerei macht mich wahnsinnig“, sagt sie. Umso mehr mag sie die Spaziergänge im Park oder auf einem nahe gelegenen Friedhof.

Im Schulungsraum ist es warm und stickig. Die in die Decke eingelassenen Lampen und die etwa 30 Computer sorgen für dicke Luft. Jutta Philipp hat einen kleinen Fächer neben ihrem PC liegen. Doch sie hat keine Hand frei, um ihn zu benutzen. Die rechte Hand liegt auf der Maus, die Finger der linken Hand gleiten über die Zeilen einer neuen Lektion. Sie soll eine Tabelle erstellen, mit der Noten für Klausuren automatisch vergeben werden können. Sie zieht die Augenbrauen hoch und beginnt mit der Eingabe der ersten Daten. Bis der Computer die Ausführung verweigert. Jutta Philipp stöhnt leise, wühlt sich durch die Suchkriterien und als sie nicht weiterkommt, lacht sie. Ein Dozent, der ihr über die Schulter schaut, sagt belustigt: „Es ist wie im Straßenverkehr. Augen zu und durch.“

Der Lehrgang hat ihren Tagesrhythmus verändert. Vorher ging sie kaum vor Mitternacht ins Bett. „Jetzt denke ich immer öfter um zehn Uhr abends ‚Jetzt musste aber langsam schlafen gehen‘.“ Denn am Morgen klingelt sechs Uhr der Wecker. Um genau zu sein, sind es zwei Wecker. „Sonst schaffe ich es nicht.“

Vergangene Woche hat Jutta Philipp zwei Bewerbungen geschrieben. Auf die vorigen fünf Schreiben hat sie eine Absage bekommen. Von den anderen hat sie nichts gehört.

Immerhin ist das Kaffeeproblem gelöst. Auf dem Hängeschrank im Aufenthaltsraum stehen drei große Päckchen als Vorrat. Einige Kursteilnehmer haben schrill orangefarbene Aufkleber „Kaffee“ angefertigt, die zum Einsatz kommen, wenn Nachschub fehlt. In einer Liste mit dem Namen „Gedächtnisstütze“ ist aufgelistet, wer wie oft Zucker und Milch mitgebracht hat. Bei Jutta Philipp stehen zwei Kreuze.

6. August 2002

Am Vortag hat sich Jutta Phillip telefonisch krank gemeldet. Sie sieht noch blass aus. „Schlecht geschlafen und der Magen auf halb acht. Ich war neben der Rolle“, begründet sie den ersten Fehltag. Heute geht es wieder.

Am schwarzen Brett hat einer der Kursteilnehmer einen Ausdruck mit den zwei Buchstaben „Äh“ in Fettschrift aufgehängt. Daneben steht: „Der Beitrag des Kanzlerkandidaten E. Stoiber zur Arbeitsmarktpolitik.“ Ob der Kanzler, der Kanzlerkandidat oder die Hartz-Kommission – Jutta Philipp ist nicht gut zu sprechen auf das Wahlkampfgetöse zur Schaffung von Arbeitsplätzen. „Die sollen doch erst mal die Effektivität der Arbeitsämter prüfen“, sagt sie. „Am besten durch Befragen der Kunden.“ Denn sie wartet noch immer auf ihren Bewilligungsbescheid. Stattdessen erhielt sie einen Brief vom Arbeitsamt mit der Aufforderung, sich am 8. August persönlich zu melden. „Dies ist eine Einladung nach § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Beachten Sie bitte unbedingt auch die Rechtsfolgebelehrung und die weiteren Hinweise auf der Rückseite“, heißt es in dem Schreiben. Jutta Philipp weiß nicht, ob sie empört oder belustigt sein soll. Sie sagt: „Das klingt ja, als hätte man Kacke am Schuh.“

Gerne würde sie die Fortbildung verlängern, um den Europäischen Computerführerschein zu machen – und „als Motivationsschub“. Der Leiter des IT-Workshops bestärkte sie in ihrem Interesse daran: „Wenn das jemand schafft, dann Sie“, hat er gesagt. Aus „taktischen Gründen“ will sie ihr Anliegen aber erst am Monatsende beim Arbeitsamt vortragen.

Das Arbeitsamt lädt zum Termin: „Klingt ja, als hätte man Kacke am Schuh“

Ein Motivationsschub wäre nicht schlecht. Im Moment ist Jutta Philipp sich nicht sicher, ob sie froh ist, dass Ende August Schluss ist, oder ob sie lieber verlängern möchte. „Am Anfang war der Lehrgang motivationssteigernd“, sagt sie, „doch ich habe gemerkt, dass viele Übungen nicht praxisnah sind.“ Außerdem hat sie bisher erfolglos nach einer neuen Stelle gesucht. Ein einziges Vorstellungsgespräch hatte sie. Dabei ging es um eine vom Arbeitsamt angebotene Stelle einer Bürokraft in einem Betrieb gleich um die Ecke ihrer Wohnung. „Das Gespräch war ganz gut“, erzählt Jutta Philipp. Doch dann hat sie nichts wieder gehört und kann nun rätseln, woran es liegt.

Sie muss dem Arbeitsamt regelmäßig nachweisen, dass sie sich um Arbeit bemüht. „Es ist immer dieser Druck da, sich arbeitsamtstechnisch zu bewerben“, erklärt sie. Viel Energie würde dabei „verpuffen“, sich auch „auf Blödsinn“ zu bewerben, nur damit der zuständige Sachbearbeiter zufrieden ist. Viel lieber würde Jutta Philipp diese Energie als „kreatives Potenzial“ nutzen.

Zum Schreiben zum Beispiel. Seit Jahren verfasst sie Erzählungen, Fabeln und Märchen. „Arbeitslosigkeit könnte auch etwas Produktives sein“, sagt sie. Plötzlich hat sie eine Idee: „Man könnte ja mal zusammentragen, was Leute in ihrer Arbeitslosigkeit gemacht haben.“ Jutta Philipp ist sicher, dass so eine Ausstellung dazu beitragen könnte, mit einigen Vorurteilen gegenüber Arbeitslosen aufzuräumen. „Es sitzen ja nicht alle in der Ecke und trinken Bier.“

22. August 2002

Um den Hals trägt Jutta Philipp eine Silberkette mit einem rosafarbenen Herz aus Rosenquarz. Der Stein soll gut sein für Gefühls- und Herzensangelegenheiten. Gegen Ärger mit dem Arbeitsamt hilft er nicht. Bei ihrem Termin Anfang des Monats erfuhr sie, dass ihr Sachbearbeiter einen falschen Antrag ausgefüllt hatte. Weil der Mitarbeiter mittlerweile nicht mehr für sie zuständig ist, musste sie sich von einer anderen Mitarbeiterin vorwerfen lassen, immer noch keinen Antrag für ihre Fortbildung abgegeben zu haben. „Das ist doch ein Sockenschuss auf beiden Seiten“, schimpft sie in der Mittagspause, die sie wieder im Park verbringt. Jutta Philipp ist sauer, weil sie anderthalb Stunden ihrer Fortbildung geopfert hat – für nichts.

Schließlich will sie jede Stunde nutzen. Erst recht, seitdem sie spürbare Fortschritte macht. „Ich klebe jetzt nicht mehr an den Übungen, sondern verfolge kleine Projekte.“ Dazu gehört beispielsweise das Erstellen von Rechnungsformularen mit Excel, kein leichtes Unterfangen. Sie fühlt sich bedeutend sicherer als am Anfang. „Ich glaube, dass ich mittlerweile eine gute Grundlage habe.“

Jutta Philipp hat jetzt alle Bewerbungsunterlagen zurückbekommen. „Ich hab so den Hals dick von dem ganzen Bewerbungsquatsch“, sagt sie und hält die rechte Hand einen Viertelmeter vor ihren Hals. Das letzte Vorstellungsgespräch hatte sie vor einer Woche. Bei ihrem Bildungsträger hatte sich eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft gemeldet, die jemanden für ein Praktikum suchte, mit Option auf einen festen Vertrag. Jutta Philipp wollte erst nicht. „Was soll ich mit einem Praktikum? Schließlich habe ich eine Berufsausbildung und Berufserfahrung.“ Doch als einer der Dozenten ihr nahelegte, wenigstens einmal vorbeizufahren, ließ sie sich überzeugen. Nach wenigen Minuten war das Gespräch vorbei. „Der Chef fragte ‚Sie suchen also ein Praktikum‘ und ich sagte ‚Nein‘, da war es gelaufen.“ Weder habe sie etwas zum Inhalt des Praktikums erfahren, noch habe man ihre Bewerbungsmappe sehen wollen. Jutta Philipp hatte den Eindruck, dass jemand „zum in der Gegend rumschicken“ gesucht wurde. Auf ihre Frage nach der Möglichkeit eines Vertrages bekam sie einen Satz zu hören, der sie empörte: „Man stellt schnell mal jemanden ein und wird ihn dann nicht mehr los.“

30. August 2002

Im Aufenthaltsraum sind die Tische zusammengestellt. Darauf stehen blaue Anderthalbliterflaschen Sekt mit dem Etikett „Silvester 2000“, Obstsalat, Eis und Kuchen. Für Jutta Philipp und sechs weitere Kursteilnehmer ist heute der letzte Tag der Fortbildung. Jutta Philipp hat selbst gebackene Nussecken mitgebracht. Während die anderen zusammen mit einem Handschlag des Dozenten und „Alles Gute“-Wünschen ihr Teilnehmerzertifikat bekommen und es sofort durch den Kopierer jagen, muss sich Jutta Philipp noch einige Tage gedulden. Sie hat sich doch entschlossen, den Computerschein zu machen, aber ohne den Workshop zu verlängern. Ihr Zertifikat bekommt sie erst, wenn sie die letzten Prüfungen dafür abgelegt hat. Ihr fehlen noch fünf Prüfungs-„Module“. Das europaweit standardisierte Zertifikat umfasst sieben „Module“. Textverarbeitung und Tabellenkalkulation hat sie bereits „ganz locker“ absolviert. „Von einer meiner Töchter musste ich mich Streber nennen lassen“, erzählt sie lachend. Die letzte Prüfung wird sie am Donnerstag ablegen.

Die 20 Bewerbungen hatten nicht den richtigen Ton: „Standardmüll eben“

Jutta Philipp hat neben Computerprogrammen in den drei Monaten etwas gelernt, das bei keiner Prüfung abgefragt wird und trotzdem bei der Arbeitssuche wichtig ist. „Ich bin selbstbewusster geworden“, sagt sie. „Anfangs wusste ich nicht, ob ich das alles schaffe.“ Sie strahlt, wenn sie erzählt, einmal 86 und einmal 91 Prozent der Fragen für den Computerführerschein richtig beantwortet zu haben.

Sie ist ganz froh, nach jetzt wieder ausschlafen zu können. Etwas nervend findet sie nur, wenn alle Welt fragt, was sie denn nun machen werde. Eine Arbeit hat sie noch nicht gefunden.

Aber sie wird zu tun haben. Seit kurzem hilft sie als Ehrenamtliche, einen Hospizverein aufzubauen. Das Thema Sterbebegleitung interessiert sie schon lange. Und: „Da kann ich mich buchhalterisch austoben.“ Zudem hat sie sich mit Hobby-Poeten getroffen, die wie sie schreiben. „Das sind sympathische Leute und wir wollen jetzt ein Programm zusammenstellen.“

Jutta Philipp musste einen Fragebogen fürs Arbeitsamt ausfüllen: „Das Arbeitsamt fördert Ihre berufliche Weiterbildung und möchte deshalb gerne wissen, welche Erfahrungen Sie bisher in Zusammenhang mit dem Lehrgang gemacht haben.“ Auf einer Skala von eins bis vier soll sie Noten verteilen. Ihr Bildungsträger bekommt gute bis sehr gute Zensuren von ihr.

Das Arbeitsamt kommt schlecht weg. Wegen der schleppenden Bearbeitung ihres Bewilligungsbescheides. Das vorgedruckte „Nicht gut“ hat sie durchgestrichen und eingefügt: „Richtig schlecht fand ich, dass mein Sachbearbeiter beim Arbeitsamt den falschen Antrag ausgefüllt hat, weil er nicht zwischen einer Trainingsmaßnahme und einer Fortbildung unterscheiden kann. Wie wäre es mal mit einer Fortbildung?“

Als Jutta Philipp nach Hause kommt, liegt im Briefkasten der Bewilligungsbescheid der Bundesanstalt für Arbeit. Vier Tage vorher musste sie wieder zum Arbeitsamt. Damit sie weiter Geld bekommt. Die Vermittlung einer Arbeit erwartet sie nicht.

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