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Die Hippies in Kabul

Der berühmte Hippie-Treck war für viele das letzte große Abenteuer. Und Kabul war eine wichtige Zwischenstation. Blick zurück auf Kiffer und Dealer in der Chicken Street on the road gen Osten

von BOMMI BAUMANN

Kabul ist meiner Meinung nach schon immer ein fürchterliches Nest gewesen. Aber 1972 herrschte dort das Highlife des Hippietums. Die Stadt war voll von Langhaarigen, die Dope rauchten. Sie haben sich in der Chicken Street konzentriert, an deren Ende die ganzen Hotels und Restaurants liegen. Das ist das ehemalige Diplomatenviertel von Kabul. Chicken Street hieß sie, weil überall Kisten mit Hühnern rumstanden. Es war schlicht und einfach der Hühnerbasar von Kabul. Später gab es dort nur noch Antiquitätenläden. Kein einziges Huhn mehr, höchstens im Restaurant, gebraten. Die Hippies haben alles verändert.

Am Ende der Chicken Street stand die pakistanische Botschaft, wo sich alle ihr Visum holen mussten. Alle standen dort an, also hat so ein findiger Stuttgarter, der in Deutschland wegen Apothekeneinbrüchen gesucht wurde, neben der Botschaft ein Restaurant aufgemacht. Er hat mehr oder weniger europäische Küche serviert. Alle sind erst mal hingegangen und haben dort gegessen und sich getroffen. Langsam haben die andern Hotels in der Gegend auch mitgemacht. Es war sehr schnell ein richtiges Hippie-Viertel mitten in Kabul: drei, vier Straßenzüge, wo nur Hippies auf den Straßen waren. Der Rest waren Rauschgifthändler und Bettler.

1979 war ich das letzte Mal in Kabul. Da wurde in den Straßen schon gekämpft. Es gab auch schon einen Supermarkt. In wenigen Jahren wurde ein ganzer Stadtteil in einem Land der Dritten Welt westlichen Bedürfnissen angepasst …

Der berühmte Hippie-Treck war auf seine Art das letzte große Abenteuer. Die unmöglichsten Fahrzeuge sind da angekommen. In Kabul hat sich das alles erst mal gesammelt, weil die Leute reichlich Strecke hinter sich hatten. Von Istanbul bis Kabul, das sind schon mal ein paar tausend Kilometer durch Hitze und Kälte, über Berge und durch Wüsten. Also wurde in Kabul Rast gemacht. Und geraucht, von früh bis spät geraucht. Den ganzen Tag lief aus Kassettenrecordern westliche Popmusik, was gerade so angesagt war. Wir haben Leute aus aller Herren Länder getroffen. Die meisten haben Dope geschmuggelt. Jeder hat sich mit Giften beschäftigt, die meisten hatten praktischerweise damit ein Geschäftchen laufen, und wenn sie nur ein paar hundert Gramm nach Hause schickten und dafür Geld zurückgeschickt bekamen. Üblich war es auch, American Traveller Checks zu verlieren und Ersatz zu holen bei American Express, war auch eine sehr beliebte Art der Geldbeschaffung. Vor dem American-Express-Büro stand jeden Morgen eine Schlange von hundert Leuten, die merkwürdigerweise alle am selben Tag leider ihre Schecks verloren hatten und alle ausgerechnet in Kabul, weil da praktischerweise auch das Büro war … Viele haben auch mit Afghanen-Klamotten gehandelt oder mit Schmuck. Damals wurde das in Europa viel gekauft. Parfüm, Teppiche, Saris und weiß der Kuckuck, was. So sind hierzulande diese Head-Shops, die indischen Läden, entstanden. Der ganze Plunder, die ganzen Sitten und Gebräuche, die die Hippies mitgebracht haben, waren eigentlich schon ein kultureller Austausch. Er war zwar nicht intensiv und bemerkenswert, aber er hat stattgefunden. Das war die positive Seite am Treck. Dass das Hippiewesen in vielen Ländern wieder zu einem Drogenproblem geführt hat, ist die Kehrseite der Medaille. Dieser Goldrausch nach den Drogen hat bewirkt, dass in vielen Ländern eine Szene entstanden ist, die dort vorher unbekannt war. Pakistan und Nepal haben heute ein echtes Heroinproblem …

In Pakistan und Afghanistan gab es vor 15 Jahren nur Haschisch und Opium. Während des Bangladeschkrieges haben die Afghanen die ganzen Rotkreuztransporte angehalten, ausgeraubt und anschließend die Medikamente an Apotheken oder auf dem Markt verkauft. An jeder Straßenecke stand einer mit diesen „Merck“-Gläsern, voll mit Kokain oder Morphium, das eigentlich für die Verwundeten im Krieg und für Katastrophenopfer gedacht war. Alles made in Germany …

Kabul hat inzwischen mehr als zwei Millionen Einwohner, und oft stößt man auf erschütterndes Elend. Die Stadt war seit langer Zeit in zwei Hälften geteilt, in das Cantonment und den Basar, in die weiße Stadt, die der Europäer also, und die Stadt der Einheimischen, die dunkle also. Die Europäer saßen in Gärten und ließen sich’s gut gehen, und draußen im Basar mussten sich die Afghanen abrackern. Das ist nicht befriedigend, auch wenn du selbst auf der Sonnenseite sitzt. Wir – der Dicke, ich und ein Engländer – sind mit einem Taxi rausgefahren aus Kabul, weil wir zu dem Berg wollten, wo der Palast der Könige von Afghanistan steht. Dem Taxifahrer sagen wir: „Wir wollen hier aussteigen und loslaufen.“ Er antwortet: „Das würde ich nicht machen, ich warte lieber hier.“ Wir: „Na ja, ist schon alles klärchen.“ Wir standen im richtigen Elendsviertel von Kabul, direkt an diesem Bergabhang. Zwischen den Hütten gab es eine Wasserstelle, und die Menschen waren in Lumpen gehüllt. Die Menschen, die Hütten, der Berg: alles ist ein trostloses braungraues Einerlei. Wir laufen da so lang, und auf einmal hatte ich dieses Gefühl – wenn du, ohne dich umzusehen, merkst, irgendwas stimmt hinter dir nicht mehr, das ist ein gemeines Gefühl. Ich habe es schon ein paarmal in meinem Leben gehabt. Du willst dich einfach nicht mehr umdrehen, weil du genau weißt, hinter dir ist hundertprozentig der Horror los.

Und richtig, ich kieke mich so um, die ganze Straße zu, einfach voll mit Leuten. Schweigend folgen sie uns. In dem Augenblick, in dem wir uns umdrehen, bücken sie sich schon und heben die ersten Steine auf. Wir rennen los, und schon fliegen die ersten Steine. Für die sind wir ein richtiger Notnagel, denn selbst unsere armselige Habe stellt für die Reichtum dar. Sie denken wohl, na wunderbar. Wir rennen gleich den Hang runter, und die alle mit Steinen hinterher. Wir springen gerade noch in das Taxi rein, und der braust los. „Habe ich euch doch gleich gesagt“, grinst der Taxifahrer.

aus: Bommi Baumann: „Hi ho: Wer nicht weggeht, kommt nicht wieder“. Frölich & Kaufmann 1987, 205 Seiten, vergriffen

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