: Die neue deutsche Welle bei der ARD
Der SWR will statt Fremdsprachenprogrammen für „ausländische Mitbürger“ in Zukunft interkulturelle Beiträge senden. In der ARD hat dies eine Kontroverse über Sinn und Zweck der Mehrsprachigkeit des öffentlich-rechtlichen Radios und die Hörgewohnheiten von Migranten ausgelöst
von SEMIRAN KAYA
Waren es damals, in der „Gastarbeiterzeit“ einstündige Programme täglich, so kürzte man sie Mitte der 90er-Jahre auf 40 Minuten und im Jahr 2000 auf ganze 20 Minuten. Zum 1. Januar 2003 will der Südwestrundfunk (SWR) nun ganz aus den Fremdsprachenprogrammen der ARD aussteigen. Dies führte zu einer heftigen Kontroverse. Denn „dieser Schritt bedeutet nicht nur die Kündigung der Versorgung der Migranten mit muttersprachlichen Sendungen, sondern gefährdet vor allem die gesamte Gemeinschaftsaufgabe“, so Wolfgang Schmitz, stellvertretender Hörfunkdirektor des WDR und Programmchef von Funkhaus Europa (FE). Schließlich zahlte der SWR jährlich knapp eine Million Euro in den Topf der Fremdsprachenprogramme. Dies macht fast ein Viertel des Gesamtetats aus. Die Fremdsprachenprogramme werden vom Bayrischen Rundfunk, vom WDR und vom SFB produziert. Nun befürchten WDR, SFB Multikulti und die Gewerkschaft Ver.di, dass sich hierdurch der öffentlich-rechtliche Rundfunk von einer wichtigen Aufgabe verabschiedet.
„Es ist ja nur der SWR und nicht die ganze ARD, die aussteigt“, versucht Prof. Karl-Heinz Meier-Braun, Redaktionsleiter vom SWR-International, zu beruhigen. Schließlich sei die Nutzung dieser Sendungen um zwei Drittel zurückgegangen und man wolle mit einem „innovativen Programm“ den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen.
Mit täglich 50 Minuten (2x 25 Minuten) sollen dann interkulturelle Themen in deutscher Sprache behandelt werden. Muttersprachliche Serviceangebote finden sich, wenn überhaupt, nur noch im Internet wieder. Meier-Braun erklärt: „Wir werden den Interessen der Migranten gerecht, indem wir ein Programm in deutscher Sprache anbieten, weil das ihre Sprache ist. Damit liegen wir im Trend der Zeit.“
Gegen Erneuerungen im Sinne eines interkulturellen Radioprogramms in deutscher Sprache, wie es SFB-Multikulti in Berlin oder Funkhaus Europa in Köln darstellen, ist im Prinzip nichts einzuwenden. Sie zeigen, dass innovative Konzepte zur besseren Gestaltung und Erreichung der Zielgruppe durchaus berechtigt und notwendig sind.
Die Fremdsprachenprogramme, so argumentiert Bernhard Hermann, Hörfunkintendant des SWR, könnten ersetzt werden, weil sich die Migranten über Satellitenfernsehen aus den Heimatländern informieren: „Es sind doch alles demokratische Staaten, aus denen wir Migranten hier haben. Da können die sich doch zu Hause bei ihren Sendern informieren. Wo soll denn da ein Problem sein?“ Vielleicht, dass Heimatsender nicht die journalistische, meinungspluralistische und migrantenspezifische Ausrichtung deutscher Medien haben. Zumal sich die Identität von Migranten in Deutschland anders definiert als im Heimatland. Deshalb sind ausländische Nachrichtensendungen „als Ersatzangebot für spezifische Informationsbedürfnisse völlig ungeeignet“, empört sich Gerd Nies, stellvertretender Vorsitzender von Ver.di, und fordert die Beibehaltung der muttersprachlichen Programme.
Der SWR aber führt an, dass lediglich 5 Prozent der Migranten im Raum Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (Sendegebiet SWR) die Sendungen nutzen. 5 Prozent von insgesamt über 1,5 Millionen wären 75.000 Hörer. Eine Quote, bei der zum Beispiel Spartenprogramme wie klassische Musik nicht einfach abgesetzt werden.
Fakt ist, dass das Argument des SWR, Migranten nutzten lieber Radio- und Fernsehprogramme ihrer Heimat, im Widerspruch zur Studie des Bundespresseamtes steht. Schließlich bestätigt diese wie auch die neueste repräsentative GfK-Ausländerbefragung des WDR eine bilinguale Nutzung der Medien. „Wir als Integrationsprogramm Funkhaus Europa werden von 11,2 Prozent der Migranten in Nordrhein-Westfalen gehört. Dass erreichen nicht mal die Kulturprogramme“, sagt Wolfgang Schmitz vom WDR. Auch die kürzlich erschienene Studie des Orientinstituts zur „Türkischen Mediennutzung in Deutschland“ fordert ein zweisprachiges Angebot, da dieses die Integration fördere.
Wie auch immer all die Gegenargumente und Appelle lauten mögen, in der Zwischenzeit ist genau das eingetreten, wovor Ver.di gewarnt hat: die Kettenreaktion, dass andere Anstalten nachziehen. So verhandelt der NDR mit dem WDR, um eventuell das 24-Stunden-Programm von FE zu übernehmen; der Bayrische Rundfunk weiß noch nicht so recht, wie er sich entscheiden soll.
Weil aber die verbleibenden ARD-Anstalten stets darauf hinweisen, dass sie wegen des Ausstiegs des SWR die muttersprachlichen Sendungen in ihrer bisherigen Form nicht mehr finanzieren könnten, rechnete einer ganz genau nach und stellt klar: „Das sind doch alles nur Krokodilstränen, die geheult werden. Die ARD verdient Millionen Euro an den ausländischen Gebührenzahlern, ohne ihnen dafür etwas zu bieten“, so Prof. Jörg Becker vom KomTech-Institut Solingen. Becker setzte die geschätzten jährlichen Gebühreneinnahmen für Hörfunk und Fernsehen (laut GEZ: 193,80 Euro jährlich pro Person) von den 700.000 türkischen Haushalten in Beziehung zu den Produktionskosten für täglich 90-minütige Programme in Berlin und Köln. Ergebnis: „Ganze 120 Millionen Euro nimmt die ARD jährlich allein durch die türkischen Gebührenzahler ein und investiert lediglich 2 Millionen. Ein Gewinn ohne jegliche Gegenleistung.“
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