: „Die FDP ist kein Wurmfortsatz mehr“
Die FDP hat ein hochbewegliches, nutzenorientiertes Wählerpotenzial. Für diese Klientel ist es richtig, dass die von Guido Westerwelle stabilisierte und neu orientierte Partei keine Koalitionsaussage vor der Wahl macht, meint der Parteienforscher Franz Walter
taz: Herr Walter, die FDP will keine Koalitionsaussagen treffen. Finden Sie das klug?
Franz Walter: Früher bekamen die Liberalen dafür immer eins auf die Rübe. Denn die Wähler wollten wissen, was mit ihren Stimmen passiert. 1957 sind sie deswegen zur CDU geschwenkt, die so die absolute Mehrheit erhielt; 1969 wären die Liberalen unter die Fünfprozenthürde gerutscht, wenn sich Scheel nicht einige Tage vor der Wahl für die SPD entschieden hätte.
Warum wagt Westerwelle dann die neue Unabhängigkeit?
Weil die Union über zwei Jahre so schwach war. Das war eine historisch neue Situation. Die FDP hat sehr intelligente und nutzenorientierte Wähler. Und diese Klientel wusste in der Krise der CDU ganz pragmatisch: Für einen Bürgerblock kann es in dieser Konstallation nicht reichen.
Aber inzwischen hat sich die Union erholt.
Deswegen erodiert die FDP.
Sollte Westerwelle also den neuen Scheel geben – und 14 Tage vor der Wahl doch noch eine Koalitionsaussage treffen?
Nein. Dafür geht’s der FDP zu gut. Anders als 1969 kommt sie sicher über die Fünfprozenthürde. Da lohnt es sich nicht, das Muster der „Umfallerpartei“ zu bedienen und eine der beachtlichsten Leistungen von Westerwelle zu riskieren.
Und die wäre?
Die FDP ist nicht mehr ein Wurmfortsatz der großen Volksparteien, der nur mit Leihstimmen überleben kann.
Etwa weil sie eine „Programmpartei“ geworden ist, wie Westerwelle behauptet?
Seien Sie nicht so spöttisch. Westerwelle hat tatsächlich schon Mitte der 90er-Jahre versucht, die FDP programmatisch zu erneuern. Und die Kernsätze waren auch kernig, etwa das Motto der „Steuersenkungspartei“. Allerdings hatte das damals bemerkenswert wenig Erfolg bei den Wählern.
Aber jetzt sind plötzlich alle vom Programm der „Programmpartei“ FDP überzeugt?
Nein. Wie gesagt: Die FDP lebte zunächst von der Krise der CDU, und die hat Westerwelle erst zögerlich, dann wendig genutzt mit der Kanzlerkandidatur und dem Projekt 18.
Trotzdem bleibt das „Projekt“ bei etwa der Hälfte der Prozente stecken.
Weil die FDP Angst bekommen hat. In ihrer Wahlkampfbroschüre von Februar setzt sie zwar noch auf „Emotionalisierung“, doch nach der Antisemitismusdebatte um Möllemann hat sie auf seriöse Partei umgeschaltet. Jetzt redet sie auch nur noch ehrpusselig von Steuern, Arbeit und Bildung.
Ein Fehler?
Nein. Es gibt zwar ein Potenzial von Protestwählern, das die FDP abschöpfen könnte. Doch um diese autoritär sozialisierten Menschen zu erreichen, müssten die Liberalen geschlossen hinter einen starken Anführer stehen. So zackig und diszipliniert ist die FDP aber noch nicht.
Wer oder was ist die FDP überhaupt? Bei keiner Partei schwanken die Wahlprognosen so stark.
Sie hat das beweglichste Wählersegment auf dem Wählermarkt – und sie wird neuerdings von zwei verschiedenen Gruppen gewählt. Da sind die hochintelligenten Bürger, die die FDP als Interessenagentur nutzen. Und dann gibt es die schlecht informierten, schlecht Gebildeten, die eine Spaß- und Protestpartei wollen. Pech wäre natürlich, wenn der Wahltag ein schöner Septembersonntag ist und die Spaßwähler gerade auf einer Party sind …
… und eine Flut darf auch nicht kommen.
Doof gelaufen, wie meine Kinder sagen würden. Aber eine Exkursion zum Elbdeich hätte Westerwelle nichts mehr genutzt. Eine Spaßpartei hat eben mit dem Kern des Politischen nichts zu tun – mit dem Ernstfall. Aber der ereignet sich ja nicht so häufig in einer hedonistischen Wohlfahrtsgesellschaft. Daher war es ein bisschen peinlich, aber durchaus konsequent, im Guidomobil sitzen zu bleiben.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN
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