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Zeugnisse von der unsichtbaren Front

Stasiaktenbehörde hat erstmals Unterlagen über die „Abteilung IV“ ausgewertet: Hunderte von Stasi-Agenten planten in der Bundesrepublik Sabotage- und Terrorakte. Die Hälfte von ihnen waren Bundesbürger

BERLIN taz ■ Am Ende siegten die Skrupel. Erst hatte der Agent den Treffpunkt der russischen Exilanten in Frankfurt am Main ausgekundschaftet, dann hatte er die Bombe besorgt und sie bereits im Wasserkasten der Toilette installiert. Doch dann baute er den Sprengsatz wieder aus, und wenig später entsorgte er die Bombe in den Main.

Es war das Jahr 1963, und der Mann war ein geheimer Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Er war Teil eines geheimen Netzwerkes, das in der Bundesrepublik strategisch wichtige Einrichtungen ausspähen und im Fall der Fälle auch sabotieren sollte. Ausgebildet war er wie die anderen Mitglieder des Netzes: in Sprengtechniken, in Sprengstoffherstellung, im Agentenfunk, im Waffengebrauch und in Nahkampftechniken.

Das Netzwerk, über das erst jetzt, zwölf Jahre nach der Wende, Genaueres bekannt wird, firmierte unter „Abteilung IV“ bei der Arbeitgruppe des Ministers (AGM). Die Abteilung IV war eine Art geheimdienstliche GSG 9 – nur statt Terror zu bekämpfen, sollte sie im Einzelfall auch Terror ausüben.

Das neue Wissen um diese Einsatzkommandos ist einem Zufall und der Bürokratie im MfS zu verdanken. 1987 sollte die Abteilung IV den Auslandsspionen unter Markus Wolf unterstellt werden. Zuvor war sie eine eigene Abteilung, die ihre Akten in ihrer eigenen Dienststelle führte. Nach der Unterstellung kam es zum Streit, ob diese Akten im Zentralarchiv der Stasi verwahrt oder bei der Auslandsaufklärung HVA verwahrt werden sollten. Der Streit entpuppte sich als Glücksfall, denn so blieben die Aktenbestände über 370 Inoffizielle Mitarbeiter aus dem Jahr 1987 erhalten. Die anderen Unterlagen wurden mit der Auflösung der Auslandsaufklärung HVA in der Wendezeit vernichtet.

Thomas Auerbach, Mitarbeiter der Stasiaktenbehörde im Bereich „Bildung und Forschung“, wertet die Unterlagen über die Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front aus. Aus den Akten, sagt er, werden nicht nur Aufgaben, Ausbildung und Einsätze der einzelnen IM ersichtlich. Sie belegen auch, wie die Agenten in der Bundesrepublik ihren Alltag unter der Konspiration organisierten, welche Beziehungsprobleme sie hatten und wie sie von ihren Instrukteuren bei der Stange gehalten wurden.

Bis zur Wende hat das MfS mit Hilfe dieses Netzwerkes die Infrastruktur der Bundesrepublik ausgespäht, um sie im Ernstfall lahmzulegen. In den Listen mit den 346 „Zielobjekten“ von 1981 sind unter anderem acht Atomkraftwerke aufgeführt. Ziele waren aber auch Umspannwerke, Pipelines und chemische Industrieanlagen. Die Hälfte der 374 Inoffiziellen Mitarbeiter, die die Abteilung IV im Jahre 1987 den aufgefundenen Unterlagen zufolge hatte, waren Bürger der DDR. Die andere Hälfte waren waren angeworbene „Überzeugungstäter“ aus der Bundesrepublik. Letztere kamen vor allem aus dem Umfeld der KPD und nach deren Verbot der DKP.

WOLFGANG GAST

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