Der Phönix aus der Glotze

Nach dem tollen TV-Duell wissen die Sozialdemokraten um Gerhard Schröder gar nicht, wohin mit all ihrer plötzlich wieder erwachten Kraft

Stoiber? Nie gehört.Seinen Herausforderer erwähnt Schröder schon seit Wochen nicht mehr.

aus Berlin JENS KÖNIG

Das Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber ist noch gar nicht richtig Geschichte, da reden alle schon von einem historischen Ereignis. Zum ersten Mal haben sich der Kanzler und sein Herausforderer einen direkten Schlagabtausch vor laufenden Kameras geliefert, und alle sind sie irgendwie zufrieden: die Fernsehmacher, weil sie eine alles in allem ordentliche Sendung hinbekommen haben und die Einschaltquoten gigantisch waren; die Zuschauer, weil sie sich das Spektakel ansahen, ohne sich angesichts ihrer Volksvertreter in Grund und Boden schämen zu müssen; die Politiker, weil sie sich nicht allzu sehr blamierten.

Da trifft es sich gut, dass Gerhard Schröder nur ein paar Stunden nach diesem historischen Ereignis am Montagvormittag schon wieder vor die Presse tritt. Das ist eine gute Gelegenheit für den Medienkanzler, der nach allgemeiner Einschätzung das zweite Duell ganz klar für sich entschieden hat, seinen Erfolg im Kreise der vertrauten Hauptstadtkorrespondenten ein wenig zu genießen. Er tut das auf die ihm eigene Art. Er sagt zum Fernsehduell und zu seinem eigenen Auftritt – nichts. Kein einziges Wort. Seinen Herausforderer erwähnt er ohnehin schon seit Wochen nicht mehr. Stoiber? Hat Schröder noch nie gehört.

Und weil die Journalisten das coole Understatement mindestens genauso lieben wie der Kanzler selbst, fragt ihn auch keiner danach, wie er sich denn selbst oder seinen Gegenspieler fand. Wie soll er sich denn selbst auch gefallen haben? Gut natürlich. Er war souveräner, schlagfertiger und charmanter als beim ersten Duell, das konnte sogar jeder Blinde sehen. Auch den eigenen Genossen ist das natürlich nicht verborgen geblieben. Und so haben sie im SPD-Präsidium über den Fernsehauftritt von Sonntagabend gar nicht erst gesprochen, aber ihren Gerd natürlich mit einem warmen Beifall empfangen.

Die Sozialdemokraten sind im Moment ohnehin in einer Lage, in der sie nicht viele Worte verlieren müssen. Seit zwei Wochen steigen ihre Umfragewerte rapide an. Das zweite Fernsehduell wird ihnen weiter Auftrieb geben. Das Rennen um die Macht, das schon so gut wie gelaufen schien für Stoiber und die Union, ist wieder offen. SPD und CDU/CSU liegen gleichauf, selbst eine rot-grüne Koalition, auf die vor kurzem niemand auch nur einen Cent gewettet hätte, liegt wieder im Bereich des Möglichen. Schon müssen sich SPD und Grüne mit der vergleichsweise luxuriösen Frage auseinander setzen, ob ein Einzug der PDS in den Bundestag ihnen nicht doch mehr schadet als nützt.

Bereits am Sonntagabend, noch während Sabine Christiansen und Maybrit Illner fröhlich ihre Fragen in die Runde werfen, sind im schmucklosen Studio G in Berlin-Adlershof mehrere Sozialdemokraten zu besichtigen, die es einige Mühe kostet, ihre Kräfte, die sie plötzlich wieder spüren, in Zaum zu halten. Matthias Machnig, der Kampa-Chef, diktiert den Journalisten seine Botschaft des Abends bereits fünf Minuten vor Ende der Sendung in die Blöcke: „Stoiber besitzt kein Kanzlerformat.“ Nur ein paar Meter davon entfernt findet Franz Müntefering, der SPD-Generalsekretär, sogar die Zeit, sich um die Kleiderordnung des Kanzlerkandidaten Sorgen zu machen. „Stoiber war beim Friseur, das ist gut“, sagt Müntefering. „Aber die Krawatte hat er beim Kanzler abgeschaut.“ Die gefährliche Nähe zur Herablassung gegenüber Stoiber war schon während der Sendung beim Kanzler selbst zu spüren. Als der Bayer einmal in die Stotterfalle tappte („sechsunddreißig …, äh, sechshundert …, äh …“), half ihm Schröder nur mit einem süffisanten Lächeln heraus („630-Mark-Gesetz“).

Vielleicht haben sich die Sozialdemokraten ja durch die etwas ausgelassene Stimmung im Fernsehstudio zu ihren kleinen Kraftmeiereien hinreißen lassen. ARD und ZDF hatten über 600 Journalisten und ein paar Prominente der achten Reihe (Vicky Leandros!) in die riesige Halle geladen. Das ganze Ambiente verströmte den Charme eines Bahnhofsvorplatzes mit grauem Teppichbodenbelag. Atmosphärisch schlug sich das so manches Mal in leicht prollig wirkenden Beifallsbekundungen nieder, wenn Stoiber daran scheiterte, einen Satz, den er geradeaus begonnen hatte, geradeaus zu beenden.

Schröder spürt dieses momentane Hochgefühl in den eigenen Reihen, gerade deswegen erinnert er seine Partei an diesem Montag an einige Binsenweisheiten. Die Bundestagswahl werde in den letzten vierzehn Tagen entschieden, sagt er und erklärt noch einmal die Gefechtslage für den Endkampf: „Es geht um die Frage, wer Deutschland besser durch diese Krise bringt.“ Eine Antwort auf diese Frage hält Schröder schon längst nicht mehr für nötig.

Diese Krise – damit ist auch und zuallererst der Irak gemeint. In der SPD loben sie den Kanzler überschwänglich für sein Gespür, gerade dieses Thema schon zu einem Zeitpunkt als entscheidend erkannt zu haben, als alle noch davon ausgingen, das sei reine Wahlkampftaktik. Aber Schröders striktes Nein zu einem Krieg gegen den Irak hat einige Sozialdemokaten mittlerweile übermütig werden lassen, und andere sind von der Bedingungslosigkeit seiner Haltung so überrascht, dass sie ihre Meinung erst mal anpassen müssen.

Übermütig – das bezieht sich auf Ludwig Stiegler, der George Bush mit dem römischen Herrscher Julius Cäsar verglich und den US-Botschafter in Berlin, Dan Coats, mit dem berüchtigten sowjetischen Statthalter in Ostberlin, Pjotr Abrassimow. Überrascht – das meint Fraktionsvize Gernot Erler, der noch am Wochenende behauptet hatte, Schröders Nein beziehe sich nur auf einen Krieg, der den Sturz Saddam Husseins zum Ziel habe. Schröder hat Stiegler im Präsidium den Kopf gewaschen, und Erler hat seine Aussage inzwischen selbst zurückgenommen. Aber angesichts der guten Stimmung zeigt sich der Kanzler generös. „In aufgeregten Zeiten macht jeder mal einen Fehler“, sagt er. „Ich auch.“