: Operieren statt heilen
Ein Sammelband der Universität für Wirtschaft und Politik arbeitet den 11. September und seine Folgen auf
Die Art, wie der Westen auf die Vernichtung des World Trade Center reagiert, wird den islamistischen Terrorismus begünstigen. Diesen Eindruck legt ein schmales Buch nahe, in dem die Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) die Beiträge einer Vortragsreihe im Winter 2001/02 versammelt hat.
Sebastian Scheerer, Kriminologe an der Uni Hamburg, versucht zunächst klar zu machen, dass es sich bei Terroristen nicht um Wahnsinnige handelt. Sie zielten bewusst auf eine psychologische Wirkung. Es komme darauf an, die Rationalität, die hinter ihren Handlungen stecke, zu entziffern.
Udo Steinbach, Leiter des Deutschen Orient-Instituts, liefert so ein Motiv: Der Terror islamistischer Fundamentalisten sei als ein Versuch zu werten, den Verfall der islamischen Gesellschaften aufzuhalten. Von den Muslimen verlangt Steinbach die Einsicht, dass „individuelles und gesellschaftliches Leben allein in religiösen Koordinaten nicht mehr möglich ist“. Der Westen müsse erkennen, „dass der Respekt vor anderen Kulturen die komplementäre Dimension der globalen Verbreitung ,seiner‘ Moderne ist“. Aggressiven Monotheismus hält Steinbach für illegitim: „Religionen und Offenbarungsschriften sollten nur noch insofern Bedeutung haben, als sie ein friedliches Miteinander zu stiften geeignet sind“.
Dieter Lutz setzt hierbei auf den gemeinsamen Kern aller Bekenntnisse: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu ...“. Der Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni argumentiert, moderne, komplexe Gesellschaften könnten sich Kriege zur Lösung von Konflikten nicht leisten. Deutschland solle sich auf seine Erfahrungen aus dem Kalten Krieg besinnen.
Während Lutz seit Ende des Kalten Krieges einen Trend zur kriegerischen Lösung von Konflikten nachweist, zeichnet Fritz Sack einen Trend zu mehr Repression im Inneren der westlichen Staaten nach. Die Polizei gehe verstärkt dazu über, im Vorfeld von Taten in die Rechte potentiell Verdächtiger einzugreifen, stellt der Kriminologe von der Uni fest. Dabei geschehe eine „weitgehend ungeahnte Verletzung geschriebener Gesetze durch die Sicherheitsbehörden“.
Norman Paech von der HWP argumentiert, der Krieg gegen Afghanistan habe das Völkerrecht verletzt. Das gälte erst recht für einen Krieg gegen den Irak. „Es geht nicht um Selbstverteidigung, sondern um eine imperialistische Neuordnung der Region“, behauptet der Professor für Öffentliches Recht. Die hegemoniale Herrschaft der USA sei „unvereinbar mit dem antihegemonialen Völkerrecht“. Gernot Knödler
Lutz/Paech/Scheerer: Zukunft des Terrorismus und des Friedens, vsa-Verlag, Hamburg 2002, 122 S., 11,70 Euro
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