: „Menschliche Bosheit ist nicht ausrottbar“
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat keine konkreten Hinweise auf neue Anschläge. Deshalb wird es heute auch keine zusätzlichen Runden der Sicherheitskräfte geben. Eine abstrakte Gefahr gebe es aber an jedem Tag
taz: Herr Körting, nach dem 11. September haben viele Politiker gesagt: Nichts wird jemals wieder so sein, wie es war. Entsprach das auch Ihren Empfindungen?
Ehrhart Körting: Ich habe das auch so gesehen. Noch nie hat es so massive Terrorakte gegeben. Es war zu befürchten, dass sich daraus eine Kette kriegsähnlicher Anschläge ergeben würde.
Bezogen auf Berlin, was hat sich in der Stadt verändert?
Wir sind beim Schutz bestimmter Einrichtungen sensibler geworden. Darüber hinaus haben wir die Konsequenz gezogen, dass in dem extremistischen Bereich die Beobachtung durch Staatsschutz und Verfassungsschutz intensiviert worden ist.
Das bekommt die Bevölkerung aber nicht mit.
Die Bürger spüren nur etwas, wenn sie an der amerikanischen Botschaft oder den anderweitig besonders geschützen Einrichtungen vorbeigehen wollen. Ansonsten hat das Leben in der Stadt unter den Ereignissen glücklicherweise nicht gelitten.
Wenn man die Polizisten beim Objektschutz beobachtet, hat man Zweifel, ob die wirklich etwas verhindern könnten. Entweder sie lümmeln sich gelangweilt im Auto herum oder starren Löcher in die Luft.
Sie tun den Polizisten Unrecht. Sie sind nicht dazu eingesetzt, Anschläge wie am 11. September zu verhindern. Das können Polizisten nicht. Sie sollen fanatisierte Einzelpersonen aufhalten oder halten sich in Mannschaftswagen als Rufbereitschaft in Reserve.
Der Job ist ganz schön monoton. Würden Sie tauschen wollen?
Es ist eine Tätigkeit wie andere auch. Denken Sie an die vielen Kontrollmitarbeiter in öffentlichen und privaten Gebäuden. Acht Stunden am Tag Mosaiksteinpflaster zu setzen, könnte man auch als monoton ansehen. Das hängt doch auch immer vom Einzelnen ab, ob er das spannend gestaltet.
Für Berlin gibt es keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung durch Anschläge anlässlich des Jahrestages. Wie lange soll der extrem hohe Sicherheitsstandard vor bestimmten Gebäuden noch aufrechterhalten werden?
Das hängt von der Einschätzung ab. Es gibt zwar keine konkreten Hinweise, aber die abstrakte Gefährdung ist nach wie vor hoch. Dies wird zum Beispiel auch durch einen möglichen Einsatz im Irak und den Israel-Palästina-Konflikt beeinflusst. Solange das so ist, wird man auf eine besondere Sicherung bestimmter Einrichtungen nicht verzichten können.
Mit was für Gefühlen sehen Sie dem Jahrestag des 11. September entgegen?
Mit Trauer über die Opfer. Aber auch mit sehr wachen Augen, dass in der Stadt ja nichts passiert.
Wird es spezielle Runden von Sicherheitsexperten geben?
Nein. Wir halten seit dem 11. September laufend Sicherheitsrunden und bundesweite Schaltkonferenzen ab. Nach dem jetzigen Stand bedarf es keiner besonderen Runde am heutigen Tag. Dies hängt auch mit der Einschätzung zusammen, dass vielleicht gar nicht der 11. September das entscheidende Datum ist, sondern dass sich die Gefährdung an jedem Tag realisieren könnte.
Hat das Datum für Sie persönlich etwas verändert?
Es hat mich in der Auffassung bestätigt, dass menschliche Bosheit auf diesem Planeten offensichtlich nicht ausrottbar ist. INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
Ehrhart Körting (SPD) ist seit Juni 2001 Innensenator. Von 1997 bis 1999 war er Justizsenator der großen Koalition.
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