: Zerfalltendenzen bei den Freiheitlichen
Haider kokettiert mit seiner FPÖ: Er hält sich als Führer für ungeeignet. Teile der Parteibasis finden das auch
WIEN taz ■ Jörg Haider sieht den Zusammenbruch der österreichen Regierung als „persönliche Niederlage“. 15 Jahre habe er „versucht, die FPÖ als gestaltende Kraft zu etablieren“, sagt er. Nachdem ihm das offenbar nicht gelungen ist, halte er sich nicht für geeignet, den Parteivorsitz wieder zu übernehmen. Die eigenen Parteigenossen nehmen diese Koketterie nicht ernst und gehen davon aus, dass er beim Sonderparteitag, der auf 21. September vorverlegt wurde, auch formal wieder die Parteigeschäfte in die Hand nimmt. Verteidigungsminister Herbert Scheibner, der bis dahin als Interims-Parteichef fungiert, will jedenfalls nicht zur Verfügung stehen.
Alle anderen Parteien haben ihre Spitzenkandidaten bereits in Position gebracht und den Wahlkampf eröffnet. Ein Wahlkampf, von dem Dieter Kindermann, der innenpolitische Redakteur der Kronen Zeitung, annimmt, er werde „der hässlichste seit langem, wenn nicht überhaupt“, werden. Das Boulevardblatt hat auch schon seine eigenen Präferenzen klar gemacht und in der gestrigen Ausgabe in Balkenlettern vor Rot-Grün gewarnt. Die harmoniesüchtigen Österreicher, so Kindermann in einer Diskussionsrunde, wünschten keine neuen Experimente und sehnten sich nach einer Rückkehr zur großen Koalition von SPÖ und ÖVP.
Erste Umfragen ergaben, dass 63 Prozent der Wähler die Neuwahlen befürworten. Eine Neuauflage der FPÖVP-Regierung wünscht sich fast niemand. Kanzler Wolfgang Schüssel hingegen will diese Option nicht ausschließen. Er wurde Dienstagabend vom Parteivorstand neuerlich als Kanzlerkandidat nominiert und zeigte sich entschlossen, seinen Posten zu verteidigen. Dafür wolle er auch gegebenenfalls wieder die FPÖ als Mehrheitsbeschaffer holen.
In der FPÖ ist die Spaltung währenddessen an der Basis angekommen. Die Europaabgeordnete Daniela Raschhofer erklärte, in ihrem Heimatbezirk Braunau wolle sich die FPÖ-Bezirksgruppe auflösen. Aus Braunau stammt auch die von Haider gestürzte Susanne Riess-Passer. Mehrere Bürgermeister und Bezirksfunktionäre in Oberösterreich wollen sich im Wahlkampf nicht mehr engagieren. Aus Salzburg, Tirol und dem Burgenland werden reihenweise Parteiaustritte gemeldet.
Auf Regierung und Nationalrat mit Ablaufdatum kommen in der nächsten Zeit neben Routinearbeit noch zwei brisante Entscheidungen zu. Die eine ist der Budgetentwurf 2003, die andere der Kauf von 18 hochmodernen Abfangjägern, der zwar beschlossen, aber noch nicht unterschrieben ist. RALF LEONHARD
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