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Ekelhaft und abstoßend

Der „Spiegel“ deckt bei Aldi einen Skandal von gigantischen Ausmaßen auf

Im Editorial seiner aktuellen Ausgabe preist der Spiegel seinen stellvertretenden Chefredakteur Martin Doerry. Der Vizeboss hat ein Buch geschrieben, dieses Buch ist auf der Bestsellerliste gelandet, und allein deshalb, beteuert der Spiegel, rückte die Redaktion von der ehernen Regel ab, niemals die Arbeit eines Kollegen im eigenen Blatt zu rezensieren. Den „Ausnahmefall“ findet der Leser auf Seite 184. Außerdem, informiert der Text weiter, sei auch das Spiegel-Buch „Geschichte eines Terrorangriffs“ noch zu haben, die „bei weitem genaueste Rekonstruktion“ des 11. Septembers, das habe Pulitzer-Preisträger Ian Johnson gesagt; „minutiös recherchiert“ – und das sagt John le Carré – „von Europas fähigstem Team investigativer Journalisten“.

Dann aber ist genug der Kaufempfehlungen, im Gegenteil: schon auf Seite 22 rät der Spiegel entschieden vom Erwerb eines Produkts ab: Unter der Überschrift „Geschmackloses Schnäppchen“ empör sich die Redaktion über einen Prospekt der Firma Aldi. „Ausgerechnet“ ab dem 11. September, moniert das Nachrichtenmagazin, wollte die Supermarktkette ein ganz und gar unpassendes Objekt unter die Leute bringen; eines, das „Geschäftsleute“ und „andere Reisende“, die am 11. September „beruflich per Flieger unterwegs sein mussten“, zutiefst schockieren konnte. Da auch der Spiegel erst zum Schluss seiner Meldung offenbart, um was für ein unmoralisches Sonderangebot es sich hierbei handelt, folgt nun eine Auflistung der speziellen Aldi- Offerten des vergangenen Mittwochs, der diesmal auf den 11. September fiel: Im Angebot sind eine Digitalkamera, ein Brotbackautomat, ein kochfestes Kombibett, Solitärpflanzen sowie Keramikblumenübertöpfe; ferner Laufhosen und -jacken, Herrenlederwendegürtel, ein Serviettentechnikset, Kraftkleber, Schuhe namens „Winter Comfort Bio Clogs“, Dachrinnenschutz sowie eine Partie Sangiovese di Romagna – und ein Trolley-Board-Case, ein Koffer also. Ein Koffer, mit dem Geschäftsleute und andere Reisende an Bord eines Flugzeugs gehen müssen, oder, womöglich gleich nach dessen Erwerb am 11. September, gehen mussten. Schlimm, aber schlimmer noch, was investigative Journalisten des Spiegel herausfanden: Dieser Koffer wird als „strapazierfähig“ beworben. Er erinnere damit an „Umstände, die weder das Gepäckstück noch sein Besitzer überstehen könnten“, befand der Spiegel und hat Recht. Das ist in der Tat widerwärtig. Ein strapazierfähiger Koffer, zu kaufen ab dem 11. September – ekelhaft, abstoßend, mindestens gedankenlos. Schließlich steht der Koffer seit den Terroranschlägen für die Unschuld; hatten führende Kofferhersteller Umsatzeinbußen in Millionenhöhe zu beklagen, reist die Geschäftswelt seither mit kurzlebigen Rucksäcken, um nicht an gewisse Umstände denken zu müssen.

Der Spiegel hat diese Befindlichkeiten genau erfasst beziehungsweise minutiös konstruiert. Angesichts der Diskussionen um Saddam Husseins Waffenarsenal muss dem Leser jedoch eines auffallen. Warum stolperte niemand in der Redaktion über die gleichfalls geschmacklosen und teuflischen „Bio Clogs“?

CAROLA RÖNNEBURG

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