Der Terror in der taz

Der Terror und die Folgen – die erste Etappe: Viele Artikel, die im vergangenen Jahr in der taz erschienen sind, haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Die taz hat deshalb das Dossier „Der 11. September und seine Folgen“ herausgegeben

von SVEN HANSEN

„Amerikaner sollten nicht eine einzige Schlacht erwarten, sondern einen langen Feldzug, wie wir ihn bisher noch nicht erlebt haben.“ So hat US-Präsident George W. Bush am 20. September 2001 in einer Rede vor dem Kongress die Amerikaner auf eine militärische Antwort auf die Terroranschläge vom 11. September eingeschworen. Ein Jahr nach den Anschlägen von New York, Washington und Pittsburgh mit über 3.000 Opfern aus zahlreichen Ländern sind in Afghanistan die radikalislamistischen Taliban, die Gastgeber der mutmaßlichen Attentäter der al-Qaida waren, militärisch besiegt. Der Hauptfeind Ussama Bin Laden wurde allerdings bisher nicht gefasst. Noch nicht geklärt ist auch die politische Zukunft des instabilen Afghanistans, wo durch die am 7. Oktober begonnenen Bombardierungen durch die so genannante Antiterrorallianz eine unbekannte Zahl von Zivilisten getötet wurde.

Inzwischen bereitet die US-Regierung einen neuen Feldzug vor – gegen Iraks Diktator Saddam Hussein. Vorgeworfen wird ihm die mögliche Produktion von Massenvernichtungswaffen. Indizien für dessen Verstrickung in die Anschläge vom 11. September gibt es aber nicht, ein Angriff auf den Irak wird als Präventivkrieg gegen künftigen Terror gerechtfertigt. Die Falken in der US-Regierung lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Ziel der Regimewechsel in Bagdad ist. Ein Angriff auf den Irak könnte den gesamten Nahen Osten in ein Pulverfass verwandeln und damit in der Tat zu einem Feldzug werden, „wie wir ihn bisher noch nicht erlebt haben“.

Was viele zunächst als legitime Art der Selbstverteidigung der USA in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September sahen, und was – von der ersten Erklärung des Bündnisfalls in der Geschichte der Nato bis zu der von Bundeskanzler Schröders ausgesprochenen „uneingeschränkten Solidarität“ – weltweit Unterstützung erhielt, droht jetzt imperiale Machtpolitik zu werden. Wohl kaum zufällig geht es um die Region mit den weltgrößten Ölreserven. Hatte sich die Bush-Regierung nach dem 11. September zunächst vom Unilateralisten zum Führer einer internationalen Koalition gewandelt, scheint sie jetzt wieder zum Alleingang entschlossen und damit die Regeln der internationalen Politik einseitig zu ihren Gunsten verändern zu wollen. Washingtons Ausstieg aus dem Kioto-Protokoll und seine Blockade des Internationalen Strafgerichtshofes könnten dagegen noch verhältnismäßig harmlos gewesen sein.

Ein Jahr nach dem 11. September 2001 sind in New York die Trümmer des World Trade Centers beseitigt und werden Pläne für den Wiederaufbau geschmiedet. Die Folgen der Terroranschläge und der Reaktionen darauf sind jedoch noch nicht voll abzusehen. Für manche hat der 11. September die Welt verändert, für andere blieb eigentlich alles beim Alten. Wieder andere sehen darin nur eine Folge vorheriger Konflikte wie des Afghanistankriegs der 80er-Jahre und des 1991er Golfkriegs. Und manche fragen, ob die USA nicht sogar mitschuldig sind, weil durch westliche Dominanz und Arroganz gerechtfertigte Ungerechtigkeiten den Boden für den Terror des 11. September bereiteten.

In Deutschland, wo einige der arabischen Attentäter vor dem 11. September als Studenten ein unauffälliges Doppelleben geführt hatten, stürzten die militärischen Antworten auf den Terror die rot-grüne Regierung in eine Krise. Die Grünen verabschiedeten sich schließlich vom Pazifismus und stimmten bereits zum zweiten Mal in ihrer Regierungszeit einem Kriegseinsatz der Bundeswehr im Ausland zu, jetzt gar erstmals außerhalb Europas. Ist Deutschland damit gänzlich „normal“ geworden? Hat es sich der Verantwortung seiner Geschichte entledigt? Der 11. September bescherte den Deutschen ein neues fragwürdiges „Sicherheitspaket“ und ließ bei manchen Politikern die Bereitschaft erkennen, bürgerliche Freiheiten nur allzu schnell zu opfern. Gesellschaftlich geriet das Zusammenleben der Kulturen auf den Prüfstand. Dabei stieß „der“ Islam auf ungewohntes Interesse. Ob dies auch zu mehr Verständnis führt, bleibt offen.

Die taz hat den Terror und seine Folgen in allen Aspekten ausführlich und kontrovers begleitet und wird dies auch weiter tun. Aus Anlass des ersten Jahrestages wurde aus einer Fülle an Material dieses Dossier ausgewählt. Viele der Texte wurden in tagespolitischer Aktualität und Hektik geschrieben, doch haben sie nichts an Bedeutung eingebüßt. Sie sind wichtig zum Verständnis der Entwicklungen, Debatten, Hoffnungen und Ängste. Sie sind intellektuelles Rüstzeug für kommende Entwicklungen. Wie gesagt: Der 11. September und seine Folgen sind noch nicht abschließend zu beurteilen. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Sven Hansen, 41, ist seit 1997 Auslandsredakteur der taz mit Schwerpunkt Asien/Pazifik. Der Text ist Vorwort zum Dossier „Der 11. September und seine Folgen“.