: Erfolg ist nicht gleich Wahlerfolg
Die schwedischen Sozialdemokraten haben alles geschafft, was der SPD in Deutschland misslang: Arbeitslosigkeit halbiert, Haushalt ohne Defizite. Und der Lohn? Ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Opposition vor den Wahlen am Sonntag
aus Stockholm REINHARD WOLFF
Ein gänzlich offenes Ergebnis signalisieren die Meinungsumfragen vor den Parlamentswahlen in Schweden an diesem Wochenende. Der „Högerblock“ aus vier Mitte-rechts-Oppositionsparteien hat es geschafft, mit dem „Vänsterblock“ aus den regierenden Sozialdemokraten und der sozialistischen Linkspartei nahezu gleichzuziehen. Und das kommt unerwartet.
Noch vor einigen Wochen gab es kaum einen ernsthaften Zweifel daran, dass Ministerpräsident Göran Persson und seine sozialdemokratische Regierung auch nach dem 15. September felsenfest im Sattel sitzen würden. Nach vier Regierungsjahren können sie nämlich auf eine glänzende Bilanz verweisen. Das Wirtschaftswachstum liegt doppelt so hoch wie in der restlichen EU. Die Stockholmer Regierung löste anders als die in Berlin ihr Wahlversprechen ein und halbierte die Arbeitslosigkeit von 8 auf 4 Prozent. Das sogar angesichts eines Arbeitsmarkts, der gerade eine tief greifende Umstrukturierung wegstecken muss, in der die Telekombranche zehntausende von Arbeitsplätzen streicht oder auslagert. Die schwedische Krone hat sich ähnlich wie das britische Pfund außerhalb der Eurozone zu einer starken Währung entwickelt, die Euro wie Dollar nicht fürchten muss. Und das Staatsbudget glänzt mit Überschuss.
Mit gezielten Steuersenkungen für Familien mit Kindern haben gerade die mittleren Lohneinkommen profitiert. Netto 5,2 Prozent mehr haben die Durchschnittshaushalte in diesem Jahr im Geldbeutel. Bis 1964 muss man zurückgehen, um eine ähnlich positive Kaufkraftentwicklung zu finden. 84 Prozent der Schweden meinen daher auch, „einen besseren Lebensstandard zu haben“ als vor vier Jahren.
Der Ministerpräsident glaubte sich auf seiner Landesvaterrolle ausruhen zu können: Weiter wie bisher. Doch etwas mehr an neuen Perspektiven schienen sich die SchwedInnen doch von ihm gewünscht zu haben. So konnte in der Sommerhitze die Opposition die Initiative übernehmen. „Schweden hat die höchsten Steuern der Welt“, schimpfte Bo Lundgren, Vorsitzender der konservativen Moderaten, „aber bei weitem nicht das beste Sozialsytem.“ Ihr Modell einer neoliberalen Wende konnte die stärkste Oppositionspartei in den letzten vier Jahren schon einmal in der Hauptstadt Stockholm praktisch vorführen, wo sie bei den Kommunalwahlen den Sozialdemokraten die Macht wegschnappte. Sie privatisierte dort große Teile des öffentlichen Dienstleistungssystems.
Mit durchwachsenem Resultat. „S-Bahn-Elend“ wurde in Stockholm zum geflügelten Wort. Im letzten Winter wurden die privaten Räumdienste mit dem Schnee nicht fertig. Fragwürdige private Pflegedienste machten einen schnellen Reibach, während Alte und Kranke Menschen nicht die Pflege erhielten, für die gezahlt wurde. Billiger als in öffentlicher Regie wurde es meist auch nicht – die Altenpflege wurde gar ein Viertel teurer. Zwar gelangen den als unsozial gescholtenen Konservativen auch durchaus Fürsorgemodelle, beispielsweise für Obdachlose. Doch „Solidarität für alle oder ein herzlos-kaltes Schweden“ – vor dieser Wahl stehe das Land jetzt, tönt die Regierung.
Die Schwäche der Opposition ist ihre Uneinigkeit. Moderate, Liberale, Zentrum und Christdemokraten konnten sich nicht einmal auf einen gemeinsamen Ministerpräsidentenkandidaten verständigen. Es reichte gerade für ein gemeinsames Plakat, auf dem das Gruppenbild mit Dame aber allenfalls seine Zersplitterung demonstriert. Die Sozialdemokraten zeigen sich daher auch guter Hoffnung, unentschlossene Wähler doch noch für sich überzeugen zu können.
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