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„Eher Freitod als Berliner Rotzigkeit“

Friedel Drautzburg kam vor fünf Jahren mit seiner „Ständigen Vertretung“ von Bonn nach Berlin. Der Promi-Wirt schätzt sein Normalopublikum, hält Berliner für gewöhnungsbedürftig, will niemals werden wie die und fühlt sich zur Ironie gezwungen

Interview WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Drautzburg, wie soll ich mit Ihnen ein Interview ohne Tonaufnahme machen? Ich halte Ihnen das Mikrofon bestimmt nicht vor den Mund.

Friedel Drautzburg: Das habe ich nicht gemeint. Aber mit Mikrofon mach ich ja keinen Witz mehr, weil wenn Sie den drucken, dann häng ich in der Kiste. Das müssen Sie berücksichtigen. Ich werde ganz seriös antworten und nicht so sein wie sonst. Man kennt Methoden von anderen. Das Nebensächlichste wird Überschrift und verfälscht alles. Damit ist das Gespräch aus Plastik.

Sie autorisieren den Text doch, bevor er gedruckt wird.

Dann können wir weiter reden. Sonst wäre es ein Plastikgespräch. Da habe ich keine Lust zu.

Wer hat dazu schon Lust?

Wieso sind hier Fliegen? (Er versucht, die Fliege zu fangen.)

Herr Drautzburg, wir sitzen in Ihrer „Ständigen Vertretung“, dem rheinisches Lokal am Schiffbauerdamm. Gerade fünf Jahre alt geworden. Gibt es etwas, wofür Sie sich heute begeistern können in Berlin?

Für selbstkritische Hauptstädter.

Kennen Sie welche?

Ja. Obwohl es intellektuell nicht zu verkraften ist, dass alle in dieser Stadt, die so gerne Metropole genannt wird, „wir müssen sparen“, sagen. Dass sich aber, wenn es dann konkret wird, die größte Zeitung dieser Stadt besonders darum kümmert, die Polizeipferde zu retten.

Sie waren ein vehementer Gegner des Regierungsumzugs und dann doch einer der ersten, der mit einem rheinischen Etablissement nach Berlin kam.

Das ist eine Berliner Geschwindigkeitsdefinition. Wenn man sieben Jahre nach dem Umzugsbeschluss als einer der ersten gilt. Ich kam ein Jahr vor der Regierung zusammen mit Grunert, meinem Kompagnon.

Warum waren Sie gegen den Regierungsumzug?

Ich sage nur, es hat in Bonn offensichtlich 40 Jahre lang hinreißend geklappt. Und was keiner gerne hört: Der Berlinumzug wird ausschließlich der PDS verdankt, die geschlossen, wie sich das für die PDS gehört, für Berlin gestimmt hat. Keiner hat dagegen protestiert. Die PDS hat den Umzug nach Berlin ausschlaggebend beeinflusst. Ich war aus finanziellen Gründen dagegen. Man hätte für das Geld viele Jugendzentren bauen und so mithelfen können, die Nazis von morgen zu verhindern.

Bedauern Sie es, dass Sie nach Berlin kamen?

Die Frage kann ich nicht beantworten, weil ich unter anderem eine wirtschaftliche Notwendigkeit sah.

Andere Gründe?

Ich habe eine hinreißende Tochter, die ein Ergebnis der Umzugsproblematik ist. Sie ist drei Jahre alt. Ich hab sie heute morgen in eine wunderbare Kita gebracht. Deshalb möchte ich hier bleiben.

Die Kleine ist Berlinerin?

Ja. Und die berlinert auch schon, und ich hab Mühe, ihr das auszutreiben. Sie wickelt mich um den Finger und bringt mich dahin, wo mich 17 Jahre lang keiner hingebracht hat: zu nassen Augen.

In Berlin ist das Glück zu ihnen gekommen?

Das persönliche, ja.

Dennoch finden Sie Berlin schrecklich?

Was hat denn das damit zu tun? Sie können doch auch an der Front das persönliche Glück finden, wenn Sie demnächst mit Tony Blair in den Krieg ziehen müssen. Sie können Ihren Mann im Krieg verlieren und einen neuen finden. Gucken Sie sich mal Hera Lind an. Die verlässt vier Kinder für einen Neuen. Auf jeden Fall hat mich das Kind politisch sensibler gemacht.

Wie?

Man denkt über Prioritäten nach. Was ist wichtiger: Dass das Kind eines Asylanten oder ausländischen Mitbürgers bereits mit eineinhalb in die Kita kommt – von mir aus auch mit Zwang –, um so die Sozialhilfeempfänger von übermorgen zu verhindern, die uns alles ruinieren, oder dass Subventionen für Objekte und Projekte vergeben werden, die so wichtig nicht sind, dass sie unsere Zukunft bestimmen?

Zum Beispiel?

Ich halte es für asozial, wenn einer mit einem vierradgetriebenen, 25 Liter fressenden Jeep Brötchen einkauft. An der Stelle einen Mentalitätswechsel herzustellen und Geld freizusetzen durch eine höhere Ökosteuer halte ich für sinnvoll. Um so Katastrophen wie die Elbeflut zu verhindern. Das sind ja selbst gemachte Klimakatastrophen.

Fragt Sie jemand nach ihrer Meinung?

Immer wieder. Man kann sich auch zu Wort melden. Ich mische mich ein. Ich bin in der SPD. Kita-Arbeit interessiert mich. Und wenn Sie Lehrlinge ausbilden, erfüllen Sie ihr Soll, wenn Sie die gut ausbilden. Wir tun das.

Angenommen, das Interessante an Berlin sind die Menschen. Sind Sie bereits mehr Berliner, als Sie es jemals sein wollten?

Da muss ich Sie enttäuschen, das werde ich so nie.

Warum nicht?

Ich werde mir einen Rest von zwischenmenschlicher Höflichkeit so widerstandsfähig verteidigen und erhalten, dass ich eher Freitod begehe, als mir die Berliner Rotzigkeit jemals vollständig anzugewöhnen.

Sie finden die Berliner unfreundlich?

Gewöhnungsbedürftig. Sie machen sich das Leben gelegentlich selbst schwer. Fahren Sie mal mit mir Auto, und ich fahre so, wie ich, sagen wir mal in Stuttgart, Saarbrücken oder Köln fahre. Und dann stellen Sie die Unterschiede fest.

Ist das Berlinerische nicht eher im Supermarkt, in der S-Bahn, am Imbiss oder …

Der Supermarkt entscheidet nicht über Leben und Tod. Fahren Sie Auto?

Fahrrad.

Können Sie nachvollziehen, wie man ein neues Regierungsviertel ohne einen einzigen Fahrradweg baut? Im Jahre 2000!

Ist das das Einzige, was Sie bemängeln?

Ich habe es schwer mit Ihnen. Ein neues Regierungsviertel in einer Metropole, die sich immer mit New York, Paris, London und Rom vergleicht ohne Radwege?

Immerhin wünscht man sich in dieser Stadt beim Abschied „Schönen Tag ooch“.

Okay, Sie haben Recht. Ich halte Berlin für eine hinreißend freundliche Stadt. Sie sind alle nett, freundlich, sie grüßen im Aufzug. Sie halten einem die Türe auf. Sie stehen für ältere Damen in der U-Bahn auf. Sie verkratzen die U-Bahn-Scheiben nicht. Sie rotzen einem nicht auf die Schuhe. Sie nehmen die Hunde beiseite, wenn Kinder kommen. Sie verhindern, dass Hunde auf den Bürgersteig, da wo andere Leute essen, hinkoten und vor allen Dingen, Sie halten andere nicht für Provinzler. Das macht sie so sympathisch.

Und der Rheinländer hat bei der Umerziehung des Berliners mitgeholfen?

Nein. Wir verkaufen ja Lebensqualität. Wir verkaufen Freundlichkeit. Ich habe eine soziale Verpflichtung – und das meine ich sehr ernst –, dass jemand, der uns Geld bringt und uns finanziert, dafür viel bekommt.

Sie belästigen ihn nicht mit Ideen, wie er besserer Metropolenbewohner werden kann?

Im Gegenteil. Ich halte es für unglaublich bösartig, jemandem, der einem Geld bringt, den Tag zu versauen. Wer hier hinkommt, hat Anspruch auf ein paar schöne Stunden. Gutes Essen und gutes Trinken setze ich voraus. Das sind so Minimalia. Über Qualität reden wir nicht. Aber über Atmosphäre. Wenn ein Familienvater mit zwei Kindern und seiner Frau kommt und sich das vielleicht überhaupt nur zweimal im Monat leisten kann, dann hat keiner meiner Mitarbeiter das Recht, diesem Mann den Abend zu versauen.

Ich meine nicht den Familienvater, ich meine die wichtigen Leute, die in Ihrer Ständigen Vertretung verkehren.

Darüber wollen Sie reden. Nur rede ich nicht darüber. 99 Prozent der Leute, die hierher kommen, sind das nicht. Ich rede über 99 Prozent. Einen Prominenten aufmerksam zu bedienen, ist das Normalste auf der Welt. Der Bundespräsident, ein Minister oder Chefredakteur wird in keinem Lokal als natürlicher Feind betrachtet. Aber der Normalo hat es nicht verdient, dass er dafür, dass er uns finanziert, auch noch rotzig behandelt wird. Darauf legen wir Wert, und das ist einer der Grundsteine für unseren Erfolg. Wir sind das getränkeumsatzstärkste Lokal in Berlin. Wenn Sie wollen, ist das hier ein Stück Rheinland.

Wenn die 99 Prozent so wichtig sind, warum zieren die Wände dann Fotos, auf denen das eine Prozent abgebildet ist?

Dekoration und Gäste müssen nicht übereinstimmen. Darüber hinaus sind die an den Wänden ja häufig Politiker, und wie Sie wissen, sind die in der sozialen Rangfolge die unterste Nummer. Mit dem Unbeliebtesten in der sozialen Hierarchie, dem Politiker, ein Lokal auszuschmücken, das hat ja was.

Um Eitelkeit geht es nicht?

Ich kenne keinen Menschen, der nicht eitel ist und wenn einer wirklich nicht eitel ist, dann möchte ich ihn auch nicht kennen lernen.

Ist Ironie ein typisches Kennzeichen des Rheinländers?

Diese Ironie ist Zeitgeist und ist in, ist der Pop-Journalismus, die Pop-Literatur von heute, und die versuche ich zu ironisieren und nachzumachen. Dazu bin gezwungen. (Der Chef der ‚Rhein-Zeitung‘, Martin Lohmann, unterbricht das Gespräch. Er könne leider nicht zum Jubiläum der „Ständigen Vertretung“ kommen. Danach tauschen die beiden noch ein paar Sätze über die Kinder und die zukünftige Regierung aus. Rot-Gelb sei gestern festgeklopft worden.)

Hier an der Wand sind Sie neben Willy Brandt und Günter Guillaume auf einem Foto. Was haben Sie da gemacht?

Wahlkampf für Brandt. Dasselbe mache ich heute für Schröder.

Liegen Welten zwischen dem, was Sie damals getrieben hat, Brandt zu unterstützen und heute Schröder?

Natürlich ist das anders. Wir sind im Jahre Pop 2002 und nicht im Jahre 69, wo die Studenten das wichtigste Salz in der Republik waren und wo sie heute die größten Schlafmützen sind. Kennen Sie einen Studenten, der heute so politisch aktiv ist wie damals Rudi Dutschke? Da waren ja hunderttausende auf der Straße und heute sind sie im Schlafzimmer.

Spricht Enttäuschung aus Ihnen?

Wie kommen Sie darauf? Haben Sie beim Fall der Mauer in Dresden einmal etwas von Studenten gehört? Haben Sie einen Studenten gegen die Bildungspolitik der Bundesrepublik protestieren sehen?

Soll heißen, die jungen Leute heute sind unpolitisch?

Ich weiß nur, dass damals hunderttausend den Springer-Konzern in die Defensive gedrängt haben. Heute ist den Studenten, glaube ich, gar nicht bekannt, worüber wir reden, wenn wir darüber reden. Es war damals Vietnamkrieg, und wir stehen heute kurz vor einem Weltkrieg, und ich sehe keinen einzigen Studenten in Aufruhr, und damit möchte ich das Thema beenden. Beim Golfkrieg haben wir noch Karneval absagen müssen in Köln.

Schlimm für Rheinländer?

Karneval ist eine Sache, die den Rheinländer als zutiefst menschliches Wesen auszeichnet.

Wie zutiefst menschlich?

Das ist so wie wenn ein Kölner, der lange abwesend war, wieder nach Hause kommt und die Domspitze sieht. Dann bekommt er Tränen in die Augen. Und ein Mittelrheiner, einer von Koblenz bis Düsseldorf, der Karneval woanders zubringen muss, leidet wie ein Tier. Das ist richtig drin. Das ist genetisch. Diese Lust zu feiern, das ist drin. Diejenigen, die das nicht können, teilen sich in zwei Menschensorten. Die einen beschimpfen die Karnevalisten. „Die müssen doch verrückt sein. Wie die sich benehmen. Auf Kommando Karneval feiern.“ So Leuten geh ich aus dem Weg.

Die andern?

Dazu gehöre ich. Die sagen: „Ich beneide die, dass die so aus sich rausgehen können, dass die so eruptiv sich selbst sein können.“

Also sind Sie im Karneval Beobachter?

Ja. Ich kann das nicht. Ich kann nicht tanzen. Ich kann auch nicht singen. Aber ich würde Karnevalisten nie beschimpfen. Ich beneide die. Das ist der Unterschied. (Drautzburg deutet auf Touristen, die sich das Lokal anschauen.) Ich bin übrigens auch dagegen, dass man Leute wie die beschimpft.

Sie meinen die Touristen? Wer beschimpft die denn?

Viele. Jetzt haben Sie die Chance, Gäste zu erleben. Wenn Sie die beobachten, werden Sie mehr erfahren, als wenn Sie mit mir sprechen. Das ist Ständige Vertretung, was Sie jetzt erleben.

Dass jemand kommt und fotografiert?

Ich habe es sehr schwer mit Ihnen. Das ist doch das Geheimnis des Lokals.

Dass Gäste kommen?

Dass Leute durchgehen wie in einem Museum. Sie sind fasziniert. Sie kommen hierhin. Sie gehen Fußwege. Das hier ist ein Anlaufort. Wir haben es geschafft, ins Bewusstsein zu kommen, da geht man hin. Sie werden alle hin- und hergerissen sein, und wenn Sie sie beim Rausgehen fragen, werden sie alle sagen: „Toll“.

Das also wird in ihrer „Ständigen Vertretung“ vertreten?

Hallo, Sie, machen Sie doch bitte von ihr mal ein Foto. (Drautzburg winkt einen Touristen heran, der ein Foto macht.) Frau Schwab, ich hab Ihnen eine Chance gegeben, sich mit Touristen auseinander zu setzen und Sie haben sie nicht genutzt. Ich beschimpfe Touristen nicht, weil ich in Spandau selber schon Tourist bin und nicht beschimpft werden möchte. In Berlin aber habe ich in einer riesigen Berliner Zeitung folgenden Ausdruck gelesen: „Touristenverseuchte Gegend“. Das lassen Sie sich bitte auf der Zunge zergehen. Wo Touristen doch die Stadt überhaupt finanzieren.

Sie sind Lobbyist für Touristen?

Lobbyist, ich hör wohl nicht recht! Einverstanden, ich nehme alles zurück und sage: Der Berliner liebt Touristen inniglich.

Fünf Jahre sind Sie jetzt hier. Lieben Sie Berlin, die Schwierige, trotz allem mittlerweile?

Ich liebe meine Tochter.

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