: Freiheit, Diktatur und Protest
Der ungarische Autor Péter Zilahy und der österreichische Schauspieler Robert Seetaler lasen in der JVA Moabit im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals
Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit ist ein reines Männergefängnis. Rund 1.200 Gefangene sitzen hier in Untersuchungshaft und warten, dass ihnen der Prozess gemacht wird. Sie haben sich an den Alltag hinter Gittern gewöhnt. Manchmal dauert es Jahre, bis über die Zukunft eines Häftlings entschieden ist. Die Männer warten allein oder zu zweit in einer Zelle. Das Wachpersonal schließt die Türen auf und wieder zu und teilt drei Mahlzeiten am Tag aus. Man schlägt sich die Zeit mit diversen mehr oder weniger kleinkriminellen Überlebensstrategien tot. Wer sich unterhalten will, muss aus dem Fenster in den Hof brüllen.
Nur sehr selten gibt es in der JVA Moabit eine Lesung, so wie am vergangenen Freitag. Etwa viermal im Jahr organisiert die Gefängnisleitung im Zusammenarbeit mit den Sozialbetreuern einen solchen Kulturnachmittag. Die Teilnahme ist freiwillig, muss indes für jeden einzelnen Insassen vom zuständigen Richter genehmigt werden. Häftlinge, die zum Beispiel über eine Aktennotiz wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verfügen, dürfen in der Regel nicht an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Da hier eine durchaus große Gruppe von Gefangenen auf einmal zusammenkommt, ist die Gefahr des schwunghaften Drogenhandels ansonsten zu groß, argumentieren die Beamten.
Diesmal fand die Lesung im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals statt, das sich in diesem Jahr vorgenommen hat, sein Publikum auch an ungewöhnlichen Orten abzuholen. In einer weiten Halle, in der Häftlinge normalerweise Postsäcke waschen und stapeln, waren also Stühle aufgestellt worden, und an der Wand hatten einige gutwillige Gefängniswärterinnen ein Getränkebuffet mit Tetrapack-Apfelsaft aufgebaut. Auf einer flachen Bühne schließlich sollten der ungarische Autor Péter Zilahy und der österreichische Schauspieler Robert Seetaler sitzen.
Texte über Freiheit, Diktatur und Protest hatte sich der 32-jährige Zilahy für diesen Nachmittag ausgesucht, eigene Erfahrungen aus der Zeit kommunistischer Gewaltherrschaft.
„Noch nie bin ich in einem Gefängnis gewesen, das kleiner ist als ein ganzes Land“, sagt Zilahy dann zur Einleitung. Knapp 70 Gefangene sitzen vor ihm, einige haben sich für die Veranstaltung ein weißes Oberhemd angezogen, die Schuhe geputzt, der Autor wirkt ein bisschen nervös jetzt.
Der Schauspieler Robert Seetaler ist für das Vortragen der deutschen Übersetzung zuständig. Er gibt sich große Mühe, tut alles, damit diese Sätze, die von politischer Repression, prügelnden Polizisten, dem Bombardement auf Belgrad handeln, auch ankommen. Seetaler schreit, flüstert, macht gespenstische Pausen, gestikuliert. Es ist nicht einfach. Die Fähigkeit zur Konzentration geht im Gefängnisalltag nicht selten verloren. Viele Häftlinge nutzen die knappe gemeinsame Zeit zum Austausch von Nachrichten. Jedes Mal, wenn Seetaler die Stimme hebt, wird auch das Raunen im Raum lauter. Ein konstantes Geräusch, ohne Ziel, ohne Richtung, ohne zu ortenden Ausgangspunkt. Der Autor Zilahy sitzt auf der Bühne, guckt auf sein Publikum, sein Lächeln sagt: „Hey, hört zu! Ich bin doch auf eurer Seite“.
Erst nach der Lesung, als zwei Häftlinge auf der Bühne Gitarre spielen, wird es ruhiger. Ein Mitglied der „JVA-Kreativschreibgruppe“ weist auf ein paar Schautafeln mit Selbstgeschriebenem hin, die in einer Ecke der Halle aufgestellt sind. Worte wie „Besinnen bis zur Besinnungslosigkeit“ sind da zu lesen und ernten Applaus.
Später stehen alle noch ein bisschen herum, rauchen, trinken Apfelsaft. Einer holt sich von Zilahy ein Autogramm. Der Maschinenschlosser Klaus, der hier wegen des Besitzes von 670 Gramm Haschisch und einer Gaspistole einsitzt, sagt, dass ihm ein Rockkonzert besser gefallen hätte, „aber war ja trotzdem nett gemeint“.
Ein Veganer, der sein Verfahren bezüglich der Ausschreitungen am 1. Mai abwartet, beklagt sich über die schlechte Ernährungssituation im Gefängnis. Derzeit müsse er sich auf eigene Kosten von einem Kreuzberger Bioladen beliefern lassen. Andere erzählen wiederum, dass die Marktlage für Haschisch gerade sehr gut sei. Eine fast angenehme Wärme steht im Saal. Dann tritt ein Gefängnisbeamter ans Mikrofon: „Ich danke allen, dass sie sich ruhig verhalten haben. Das gibt uns Hoffnung für das nächste Mal. Jetzt geht es in Gruppen in die Häuser zurück!“
KIRSTEN KÜPPERS
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