: Drei der Regierungspartei
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aus Eggesin HEIKE HAARHOFF
Am Bahnhof von Eggesin stehen drei Beschwipste und bringen den Tag herum. Ankommenden sind sie behilflich mit Wegbeschreibungen, schwer ist das nicht, Eggesin ist eine Kleinstadt in Vorpommern, sieben Kilometer nördlich beginnt die Küste und neun Kilometer östlich Polen. Fast alle Ziele sind zu Fuß erreichbar. Die Seestraße? Ganz einfach: geradeaus, vorbei an dem geschlossenen Lokal, vorbei an dem leerstehenden Laden, vorbei an den Schaufenstern mit dem Schild „Zu vermieten“ im Angebot, dann, bei der Freiwilligen Feuerwehr, rechts rein. „Und immer schön die älteren Menschen grüßen“, ruft einer hinterher. Warum ausgerechnet die Älteren? Die lachen. „Gibt keine anderen mehr. Eggesin ist eine Rentnerstadt!“
Martin Hoffmann (PDS): „Viel ist nicht passiert“
Immer schön die Älteren grüßen. Martin Hoffmann kommt einem schon am Anfang der Seestraße entgegengeeilt. „Ich hätte Sie abholen sollen“, sagt der 68-jährige PDS-Stadtrat wie zur Entschuldigung. Denn es gab eine Zeit, da hat kaum jemand geglaubt, dass da, wo Martin Hoffmanns Haus steht, überhaupt noch Zivilisation kommt. Sein Arm beschreibt einen Halbkreis über das Neubauviertel, das entlang der Seestraße kurz nach der Wende entstanden ist. „Damals war ja noch Euphorie.“ Damals scherte es kaum jemanden, dass die ehemals volkseigene Gärtnerei dicht gemacht wurde, dass an ihrer statt Baugrundstücke für Eigenheime ausgewiesen wurden und Martin Hoffmann plötzlich viele neue Nachbarn bekommen sollte. Hoffmann, der Ausbilder an der Betriebsakademie Landwirtschaft, der hier bislang recht einsam gelebt hatte und in seiner Beige-grün-khaki-Tracht auch jetzt noch aussieht wie ein verbuschter Tropenforscher.
Aber um 1992 verringerte auch das Elektromotorenwerk seine Belegschaft und auch der einstmals größte Militärstandort Ostdeutschlands wurde immer kleiner. Für die Eigenheime und Wohnungen in Martin Hoffmanns Viertel finden sich keine Mieter mehr: Mehr als ein Drittel seiner Einwohner hat Eggesin seit 1990 verloren, einen Großteil davon in den vergangenen vier Jahren, etwa 6.500 Menschen sind es heute noch. Die Arbeitslosigkeit im Uecker-Randow-Kreis ist mit knapp unter 30 Prozent die höchste Deutschlands. Und nun wird hier am Sonntag der Landtag gewählt.
Martin Hoffmann lädt auf seine Terrasse ein. Zwei Hollywoodschaukeln stehen hier, an der Hauswand rankt Blauer Portugiese. Er hätte allen Grund zur Klage, denn Abwanderung und Arbeitslosigkeit, die beiden beherrschenden Sorgen Mecklenburg-Vorpommerns, kennt er als PDS-Kommunalpolitiker wie privat: Drei seiner fünf Kinder sind im Westen beziehungsweise auf dem Weg dorthin, und die beiden, die in Mecklenburg-Vorpommern geblieben sind, arbeiten außerhalb ihres Berufs. Aber soll er dafür seine eigene Partei, die PDS, verantwortlich machen? Seit vier Jahren regiert die zusammen mit der SPD das nordöstliche Bundesland; die PDS stellt mit Helmut Holter nicht nur den Minister für Arbeit, sondern auch den stellvertretenden Ministerpräsidenten. Deutliche Reduzierung der Arbeitslosigkeit hat Holter vor vier Jahren versprochen, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, 1.000 Jugendsozialarbeiter an Schulen, 5.000 neue Stellen insgesamt. Die Airbus-Endmontage wollte er nach Mecklenburg-Vorpommern holen, dem Transrapid stimmte er zu, BMW hätte er das Gelände für das neue Werk günstig und so hergerichtet, wie die Autobauer es wünschten. Keiner der Investoren kam.
Stattdessen sieht Martin Hoffmann Jugendliche, die über staatlich geförderte Stellen Friedhofsmauern wieder aufbauen und verfugen. „Das ist keine wertschaffende Arbeit, die in den Kreislauf einfließt“, sagt er. Es klingt weder hämisch noch wütend. Noch keine Regierung seit 1990, egal welcher Couleur, hat Lösungen für die schwierige Lage der 1,7 Millionen Menschen im strukturschwachen Nordosten Deutschlands gefunden. „Viel ist in den letzten Jahren nicht passiert“, sagt Martin Hoffmann. Aber im Gegensatz zu 1998, als der Unmut über die von der CDU angeführte Große Koalition durch das Land wogte wie eine Ostseeflutwelle, ist wenige Tage vor der nächsten Landtagswahl wenig von Wechselstimmung zu spüren. Glaubt man den Umfragen, wird die rot-rote Koalition unter Ministerpräsident Harald Ringstorff am Sonntag bestätigt, wenn auch mit empfindlichen Verlusten für die PDS. So richtig regt diese Aussicht niemanden auf: Seit auch die einstige Frontstadt Berlin von einer SPD/PDS-Koalition regiert wird, scheinen rot-rote Bündnisse auf Landesebene nicht zwangsläufig den Untergang des Abendlands zu bedeuten. Und ist nicht allein das ein Fortschritt? Martin Hoffmann auf seiner Terrasse plaudert über sein früheres Engagement bei der SED, will nicht verheimlichen, dass seine Kollegen aus der Stadtvertretung früher SED-Bezirkssekretäre, Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda oder Parteisekretäre waren und sich trotzdem in kommunalen Sachfragen oft mit der CDU einig sind. Solche Offenheit ist möglich. „Versöhnen statt Spalten“, das Motto, unter dem die rot-rote Regierung 1998 angetreten war, scheint in Eggesin jedenfalls aufgegangen zu sein. Aber Stimmen gewonnen hat die PDS deswegen nicht.
Paul Arndt (PDS):„Gnatz und Ostalgie“
Immer schön die Älteren grüßen. Paul Arndt öffnet die Tür seiner Wohnung im Viergeschosser am Karpiner Damm, der Hund bellt, er streckt einladend die Hand aus: „Was führt Sie nach Eggesin?“ Erzählen Sie, wie der Wahlkampf läuft. Da muss er sich erst mal setzen. Paul Arndt, 65 Jahre, ist der Vorsitzende des PDS-Ortsverbands. 38 Mitglieder verzeichnet die Parteiliste. Als Eggesin 1999 den Stadtrat wählte, schafften es aber nur drei von der PDS. Drei Ratssitze von insgesamt 21 – in der Legislaturperiode davor waren es noch sechs von 21.
Paul Arndt behauptet, dass die Abwanderung seine Partei besonders hart trifft. Erstens gingen vor allem die PDS-Wähler und zweitens verstärke die Abwanderung den Trend, CDU und SPD zu wählen. „Denen wird besserer Kontakt zur Wirtschaft beziehungsweise zur Bundesregierung zugetraut.“ Dass die PDS in der Regierung vielleicht einfach nicht überzeugt hat, spielt in seiner Analyse keine Rolle.
Wenn man Paul Arndt fragt, was denn die Akzente der PDS-Landesminister, allen voran des Arbeitsministers waren, lässt er seinen Blick durch den Raum gleiten. Was soll man dazu sagen? Der SPD-Chef Ringstorff selbst hat betont, er könne sich keinen besseren Sozialdemokraten als Holter vorstellen. Schlimmer kann es für die PDS-Basis eigentlich nicht kommen. „Er hat ja auch das Problem, dass er nicht der wirkliche Minister für Arbeit ist“, sagt Paul Arndt nachsichtig, „er ist nur Abbild der Bundesanstalt für Arbeit.“
Dann Holters Affären um Millionenaufträge für dubiose Firmen, „Dummheiten“, sagt Paul Arndt, dann die Kürzungen im sozialen Bereich unter der PDS-Sozialministerin Bunge, dann der Antrag der PDS-Landtagsfraktion auf Abschaffung der Bundeswehr ausgerechnet in der Woche, als in Eggesin die faktische Schließung der Kasernen, des größten Arbeitgebers der Region, verkündet wurde, dann der Rücktritt Gregor Gysis, und schließlich die konsequente Ablehnung jedes Kriegs, die die SPD ihnen nun auch noch weggeschnappt hat. „Es gab keine spektakulären Erfolge“, sagt Arndt ein wenig niedergeschlagen, und das werde die Partei zu spüren bekommen: fünf bis sieben Prozent Verlust sagen ihr die Umfragen voraus. „Aber aus Gnatz und Ostalgie werden uns immer noch viele wählen“, glaubt er.
Elke Heisler (PDS): „sie“ in Schwerin
Immer schön die Älteren grüßen. Elke Heisler ist eine Frau, die sich über Besuch freut, auch über spontanen. Zwei Minuten später stehen Zigaretten und Eiskaffee auf dem Wohnzimmertisch. Vor zehn Jahren ist die Deutsch- und Russischlehrerin in Eggesin von der Schule geflogen, an der sie zuvor als Parteisekretärin über Berufs- und Lebenskarrieren entschied. „Für dieses System nicht geeignet“, stand im Kündigungsschreiben. Elke Heisler ist dagegen bis vor das Oberlandesgericht gezogen, erfolglos, sie findet ihren Rauswurf immer noch „ungerecht“ und engagiert sich seitdem umso mehr in der Lokalpolitik. „Aber wenn meine Nachbarn das mitkriegen, dann erklären die mich für verrückt.“ Denn ihre Nachbarn glauben an gar nichts mehr: Eggesin ist wie so viele Gemeinden hoch verschuldet, es gibt keinen finanziellen Spielraum für nichts, nicht einmal den Abriss der leerstehenden und allmählich verfallenden Plattenbauten in der Straße, in der Elke Heisler wohnt, kann sich die Kommune leisten. Mit 59 Jahren ist sie die Jüngste in der Eggesiner PDS-Ortsgruppe, und sie ist keine, die mit Kritik spart. Auf die Mobilitätshilfe, die das Arbeitsamt flexiblen jungen Leuten zahlt, die bereit sind, für einen Job die Region zu verlassen, schimpft sie. „Lieber sollten sie hier vernünftige Ausbildungsplätze schaffen!“ Sie? „Lieber sollten sie Geld für Abriss und Umbau der leerstehenden Wohnungen fließen lassen!“ Wieder sie. Den Straßenbau nach Ueckermünde und die Fährverbindung weiter nach Usedom müssten sie auch forcieren. Und einen seriösen Investor für das verlassene Kasernengelände finden. Sie, sie, sie. Elke Heisler redet sich in Fahrt. So weit, dass man fast vergessen könnte, dass die eigene Partei dort drei von sieben Ministern stellt.
Immer schön die Älteren grüßen. Die drei vom Bahnhof sind verschwunden. Von Eggesin gibt es zwei Direktverbindungen: nach Pasewalk und nach Ueckermünde.
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