SO SCHÖN ES WÄRE: WESTERWELLE KANN MÖLLEMANN NICHT ENTMACHTEN: Quartalsirre mit Kalkül
Allseits prasseln die Ratschläge auf FDP-Chef Guido Westerwelle ein: Er solle endlich seinen Vize Jürgen Möllemann entmachten, um ihn für den antisemitischen Stimmenfang zu bestrafen. Es wäre schön, wenn das so einfach ginge. Doch Westerwelle hat nichts in petto, womit er Möllemann schrecken könnte. Das zeigt auch die neueste Wendung des Eklats: das Hin und Her zu der Frage, ob Westerwelle und Möllemann noch gemeinsam im Wahlkampf auftreten. Das Gezerre wirkt hilflos.
Es erregt sogar Mitleid mit dem FDP-Chef. Denn das klassische Disziplinierungsinstrument wäre ein anderes, wäre die Drohung: Wer von der liberalen Linie abweicht, darf bei einer möglichen FDP-sonstwie-Koalition nicht mitregieren. Doch kann Westerwelle bei Möllemann mit dieser Drohung nicht punkten – sie ist längst Realität. Sowohl Kanzlerkandidat Stoiber wie Amtsinhaber Schröder haben diplomatisch aber deutlich klargestellt, dass sie Möllemann nicht im Kabinett wünschen. Und Westerwelle widerspricht nicht, lächelt nur fein, würde sich doch eine lästige Konkurrenz angenehm unaufgeregt erledigen. Damit aber entfällt für Möllemann jeder Grund, Rücksichten zu nehmen.
Ganz im Gegenteil: Seine einzige Chance, noch ein interessantes Amt zu ergattern, ist das Plebiszit. Wenn besonders viele Wähler – besonders in Nordrhein-Westfalen – für die FDP stimmen, dann kann es ja nur an einem gelegen haben: an Möllemann und seinem „Klartext“ gegenüber Juden.
Zwar wird er dann ein Schmuddelkind sein, das nach Antisemitismus stinkt. Aber das wird Möllemann nicht von der Regierung fern halten. Es ist sogar umgekehrt: Wie bei allen Populisten wird schnell das Argument auftauchen, dass man ihn „einbinden“ muss, um ihn zu entschärfen.
Der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms hat Möllemann mal einen „Quartalsirren“ genannt. Der Ausdruck ist längst zum geflügelten Medienwort geworden. Doch führt der Titel „Irrer“ in die Irre: Möllemann kalkuliert genau. Westerwelle kann ihn nicht entmachten. Das kann nur noch der Wähler. ULRIKE HERRMANN
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