piwik no script img

In den Lauben lebt ‘ne Bande

Die „Bereinigung“ im Waller Fleet steht erst bevor. Im Parzellengebiet östlich davon buddeln die Bagger um so fleißiger. Die letzten Desperados klettern über Erdhaufen zu ihren Lauben

„Die müssen mich hier raustragen“ sagt Michael aus dem Akazienweg trotzig. Die „Laubenbande“ lebt auf alten Parzellen, die offiziell Gewerbegebiet sind.

Michael und Beate wohnen seit sechs Jahren im Akazienweg in Walle. Michael hat rund 50.000 Mark in die Renovierung des Häuschens gesteckt. Im über 600 Quadratmeter großen Garten stehen Apfel- und Pflaumenbäume, ein Kirsch- und ein Birnbaum. Zwiebeln, Tomaten und Küchenkräuter wachsen in den Beeten. Wie lange Michael und Beate noch Freude an ihrer Gartenidylle und der Fußbodenheizung haben werden, steht in den Sternen – denn ihr Heim liegt im „Bereinigungsgebiet Waller Fleet.

„Offiziell haben wir noch nichts gehört, wann wir hier raus sollen“, sagt Michael. „Wir erfahren alles nur aus der Zeitung.“ Michael gehört zu den Kämpferischen unter den Kleingarten-BewohnerInnen: „Die müssen mich hier raustragen.“

Einige sind schon weggezogen. Andere Parzellen liegen brach, weil die Besitzer gestorben sind und „sie jetzt der Stadt gehören, die nichts macht“, erzählt der Fleetbewohner Michael. Die übrig gebliebenen Bewohner würden jetzt um so mehr zusammenrücken, sagt er trotzig.

Bei ihm um die Ecke wohnt die 88-jährige Frau Schlachter. Selbstverständlich hat die alte Lady „Auswohnrecht“, kann also in ihrem Häuschen bleiben, so lange sie will. „Aber wenn die jungen Leute hier weggehen, dann muss ich auch gehen“, sagt sie. Schließlich macht ihr die Unterstützung durch die Jüngeren – die Mülltonne rausstellen, oder sie zum Einkaufen im Auto mitzunehmen – das Leben deutlich leichter. Noch ist die Lage am Waller Fleet ruhig. Michael hofft, dass seine Kinder, die nur am Wochenende kommen, noch bis ins nächste Jahr Zeit haben, ihre Schiffchen auf dem Fleet schwimmen zu lassen.

Was passiert, wenn eines Tages wirklich das Räumkommando anrückt, weiß Michael noch nicht. Ob er von irgendeiner Institution eine Entschädigung für Kauf- und Renovierungskosten am Haus bekommt, weiß er nicht. „Als ich das Haus 1995/96 gekauft habe, wusste das die Stadt. Mir hat damals keiner gesagt, dass ich hier nicht wohnen darf“, empört er sich heute und setzt bitter nach: „Wenn das hier alles über Kopp geht, kann ich Konkurs anmelden.“

Unterdessen knistert ein Lagerfeuer im Buchfinkenweg ein paar hundert Meter weiter östlich, jenseits des Hohweg. Mücken sirren durch die Luft, ungefähr 20 Menschen stehen oder sitzen beieinander, unterhalten sich oder hören Musik. Mindestens genauso viele Hunde tollen herum.

Das ist die „Laubenbande“, die dieses Kleingartengebiet zwischen Hohweg, Kuhkampsweg und Unionsweg besetzt. Sie wollen hier genauso wenig weg, wie Michael aus dem Akazienweg. Der Unterschied: Laut Bebauungsplan ist das Areal östlich vom Hohweg ausgeschriebenes Gewerbegebiet, das nicht mehr zum Waller Fleet dazu gehört, erklärt Holger Bruns, Sprecher der Bau- und Umweltsenatorin Christine Wischer (SPD). Um in diese verlassen anmutende Gegend vorzudringen, muss man sich durch zugewucherte Wege schlagen und Erdhaufen überwinden. Aufgegebene Lauben stehen zwischen ins Kraut geschossenen Büschen, sehen hohläugig ihrem Abriss entgegen.

Dass diese Wildnis nicht zum „Bereinigungsgebiet“ gehört, dürfte dem rund 20-köpfigen Völkchen von LaubenbesetzerInnen, Bauwagen- und LKW-BewohnerInnen, Punks und anderen Leuten halbwegs schnuppe sein. Sie leben ihre Vorstellungen von alternativen Lebensformen jenseits der Mietwohnung, so lange die Abrissbagger sie lassen. Den Ersten hat’s vorgestern früh erwischt: Seine Hütte ist weg. Denn nach offizieller Lesart sind die Laubenbanden-Leute illegal dort. Eine von ihnen ist Katharina. Seit ungefähr einem halben Jahr steht sie mit ihrem Laster am Buchfinkenweg. In der Zeit ist ihr schon einmal beinahe ihr Staubsauger unterm Wagen weggeklaut worden.

Und während die GebietsbesetzerInnen Kompostklos eingerichtet haben und nach Parties die leer getrunkenen Dosen und Flaschen in gelben Säcken ordentlich an die Straße stellen, beobachten sie, dass Altöl und Bauschutt auf dem Gelände abgeladen würde.

Besuch von der Polizei bekommt die Laubenbande auch ab und zu: „Jedesmal, wenn unser einziger Nachbar, die Firma Metall Meyer, behauptet, wir würden Lärm machen, kommt die Polizei.“ Die würde dann Ausweise kontrollieren, sie aber dulden. „Wir stören doch niemanden“, ärgert sich Katharina. Die wenigen Kleingärtner,die es in der Gegend noch gibt, haben sich auch an die bunten Nachbarn gewöhnt. Alexandra und Tom erzählen, wie sie zwei über 70-Jährigen die weggelaufenen Ziegen wieder eingefangen haben. „Und irgendwann kamen die alten Leute und brachten Kuchen.“

Ulrike Bendrat

Wer auch Kuchen bringen oder Musik hören will, ist heute Abend richtig bei der Laubenbande. Punk- und Reggae-Bands spielen zum Konzert auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen