: Attacke gegen Ströbele
Grüner Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg erhält Schlag auf den Hinterkopf. Als mutmaßlichen Täter nimmt die Polizei einen einschlägig bekannten Rechtsextremisten fest
von STEFAN ALBERTIund HEIKE KLEFFNER
Eine bislang einmalige Attacke auf einen Bewerber hat gestern den Abschluss des Berliner Bundestagswahlkampfs überschattet. Christian Ströbele, Grünen-Parlamentarier und Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg, erhielt von hinten einen Schlag auf den Kopf, möglichweise mit einem Schlagstock. Als mutmaßlichen Täter verhaftete die Polizei den ihr seit über zehn Jahren bekannten militanten Rechtsextremisten Bendix W., der beste Verbindungen zum Rechtsterrorismus hat. Weder die Landeswahlleitung noch die Berliner Grünen vermochten sich an eine vergleichbare Attacke zu erinnern. Ströbele trug Kopfschmerzen, Übelkeit und eine Beule am Hinterkopf davon. Er sagte vorerst alle Termine ab.
Es sollte eine ganz normale Morgenschicht im Wahlkampf sein, einer der letzten Einsätze vor der Entscheidung. Ströbele stand ab halb sieben vor dem S-Bahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain und verteilte Flugblätter, sein Wahlkampfkoordinator Günther Huber hütete den Infostand. „Plötzlich habe ich ein klatschendes Geräusch gehört und gesehen, wie er sich am Ohr hielt“, sagt Huber. Das war gegen halb acht. Den Angriff selbst hat Huber nicht beobachtet.
Auch Ströbele sah den von hinten kommenden Schlag nicht. Er habe erst gedacht, er sei vor einen Lastwagen gelaufen, berichtet sein Büro. Ströbele selbst wollte nach einer Untersuchung im Krankenhaus und einer Befragung im Landeskriminalamt keine Interviews geben und zog sich zu Bekannten zurück.
Nach dem Schlag habe Ströbele den Mann verfolgt und dann einen vorbeifahrenden Polizeiwagen angehalten. In einer Seitenstraße der Warschauer Brücke nahmen die Beamten W. in einem Hauseingang fest. Sie fanden bei ihm einen ausziehbaren Schlagstock – nach Vermutungen der Polizei die Tatwaffe.
Der mutmaßliche Täter trat zum ersten Mal 1990 in Berlin als Aktivist der „Nationalen Alternative“ (NA) in Erscheinung. Nach damaligen Aussagen des Neonazi-Aussteigers Ingo Hasselbach gehörte W. gemeinsam mit dem langjährigen Neonazi-Kader Arnulf Priem zum Gründungskreis der NA und wurde deren „Beauftragter“ für Wehrsport. Bei Übungen sollen auch scharfe Waffen zum Einsatz gekommen und der Bau von Briefbomben vermittelt worden sein. Im Oktober 1995 verurteilte ihn das Amtsgericht Berlin wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu zweieinhalb Jahren Haft. Der Ostberliner hatte den österreichischen Neonazi Peter Binder 1993 zu einer ehemaligen russischen Kaserne geführt, wo dieser zehn Kilogramm Sprengstoff aus alten Panzerminen ausgebaut haben soll. Binder musste sich zusammen mit einem Gesinnungsgenossen in Wien wegen der Briefbombenserie vom Dezember 1993 verantworten. Nach Polizeiangaben wurde gegen W. auch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruch ermittelt. Experten gilt W., der zu den Neonazirockern Vandalen gezählt wird, als eine Symbolfigur für einen kontinuierlich aktiven militanten Neonazismus, der sich bewusst in kleinen Zellen organisiert und immer wieder unter dem Kampfbegriff „Weißer Arischer Widerstand“ operiert. Der Angriff auf den grünen Politiker Ströbele würde in diese Tradition passen.
Grünen-Politiker und Gegenkandidaten verurteilten die Attacke. „Gewalt darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein“, sagte Grünen-Landeschefin Regina Michalik, Bundespartei- und Fraktionsspitze äußerten sich bestürzt. Ähnliches betonten Andreas Matthae, SPD-Kandidat in Friedrichshain-Kreuzberg, und die PDS-Kandidatin Bärbel Grygier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen