Blondinen-Wahlkampf

Frauenpolitik gilt als wirtschaftsfeindlich. Das haben sowohl die Parteien als auch die Frauen so verinnerlicht, dass diese von der politischen Themenliste gestrichen wurde

Frauen von heute sind, was ihre Interessen angeht, zögerlicherals ihre Kolleginnenvor 100 Jahren

Das Wahlverhalten der Frau ist ein Rätsel. Zwar mühen sich zumindest die großen Parteien sichtlich um diese Mehrheit – weil Frauen älter werden als Männer, gibt es etwa in Deutschland 2,6 Millionen mehr Wählerinnen als Wähler – doch tappen sie bei der Wahl der Themen, mit denen man die Damen wirklich ködern könnte, im Dunkeln. Das Wahlverhalten der Frauen hat sich in Deutschland dem der Männer inzwischen sehr stark angeglichen, es sind kaum mehr Präferenzen auszumachen. Gibt es noch genuine Fraueninteressen? Wenn ja, gehen die Parteien darauf ein? Und wählen die Frauen sie dafür?

Als die deutschen Frauen 1918 das Wahlrecht erstritten hatten, waren einige darunter, die meinten, die Frau hätte sich dieses Recht erst verdienen müssen, um sich seiner würdig zu erweisen. Dass ein Recht ein Recht ist, war ihnen damals nicht vorstellbar. Die Frauen dankten also für die Gunst durch Wohlverhalten: Sie wählten bürgerlich und konservativ. Erst in den Siebzigerjahren entdeckten sie, dass ihnen ein vernünftiger Sozialstaat bei der Emanzipation weiterhilft. Junge Frauen brachten Brandt an die Macht. Erstmals 1998 waren es auch die Älteren, die von Kohl auf Schröder umstiegen. Kein Wunder, dass sich dieses Mal mehrere Arbeitsgruppen in SPD-Kampa und Stoiber-Team mit dem Rätsel dessen, was die Weiber wollen, befassen. Die SPD will die Damen halten, die sie der Union abgeluchst hat. Und die Union möchte sie zurück. Interessant ist, wie sie das versuchen: Gesundheit, Rente und Bildung, diese klassischen Frauenthemen können nicht mehr eingesetzt werden. Denn die Sozialdemokratie ist modernisiert: vom Hinwerfen Oskar Lafontaines bis zum„Dritten Weg“ über die Teilprivatisierung der Rente und (demnächst) der Krankheitskosten bis hin zur Hartz-Kommission, die massenhaft schlecht bezahlte Frauenjobs schaffen möchte – gilt: Die SPD hat den Frauenbonus verspielt, denn auch sie garantieren keinen Sozialstaat mehr.

Wie also jetzt punkten? Mit mehr Gleichheit, wie es das Grundgesetz vorsieht? Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, die Überprüfung der Tarifverträge auf Diskriminierungen oder leichteren Erziehungsurlaub auch für Männer: Das wären echte emanzipative Projekte gewesen. Allein sie wurden, bis auf das Teilzeitgesetz, nicht angegangen. Warum? Die Antwort ist einfach und heißt Neoliberalismus. Die politische Kraft von Gerhard Schröders modernisierter Sozialdemokratie langt nur noch dafür, einige Großunternehmen kurzfristig vor dem Ruin zu retten und symbolische Zugeständnisse an die Stammwähler unter den Gewerkschaftern zu machen. Frauenpolitik gilt – zu Unrecht – als wirtschaftsfeindlich. Also gibt es keine Gesetze, die die Wirtschaft zwingen, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, und keine Ideen, wie man Arbeit zwischen Männern und Frauen verteilen kann.

Stattdessen versuchen die beiden großen Parteien, es der Wirtschaft recht und den Frauen billig zu machen. Als dringlichstes frauenpolitisches Problem haben sowohl SPD als auch Union die demografische Entwicklung ausgemacht: Die Reproduktion muss gesichert und die Kinder müssen versorgt werden. Bei der CDU subventioniert der Staat weiter die Kinder kriegende Hausfrau, bei der SPD stellt er sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und nimmt ihr einen Teil der Kinderpflege ab. Diese rein funktionalen Konzepte werden den Frauen nun als Politik „für Frauen“ verkauft, „damit die das übernander kriegen“, wie Gerhard Schröder beim letzten Duell so schön formulierte. Frauen bekommen kein Partnerschaftsmodell, sondern eine Krücke geboten, damit sie weiter funktionieren. Das ist nicht wenig. Immerhin könnte Deutschland damit irgendwann mal wieder den europäischen Standard erreichen.

Beide Volksparteien halten das für ausreichend, um Frauen zu ködern. Es geht nicht um emanzipatorische Politik, es geht, vom schönen Schein kaum überstrahlt, um Wirtschaft. Der schöne Schein, das sind die zwei Blondinen, die wir jetzt auf Wahlplakaten sehen. Warum bekommen wir Tag für Tag diese altmodische Gattinnenparade serviert? Von denen, die zur Wahl stehen, hört man dagegen nichts. Die Familienministerin Bergmann mit ihren unbequemen Gesetzen wird ohnehin ausgewechselt. Mit anderen Worten: Für die Gleichstellung der Frauen bieten SPD und CDU außer Bildern und Rhetorik kaum etwas an. Das ist nur möglich, weil sie davon ausgehen, dass es bei Frauen nicht auf Inhalte, sondern das richtige Bild und die richtige Emotion ankommt.

Auch Journalisten glauben das. Nach dem Kandidatenduell befragten sie als Spezialistinnen für Fraueninteressen nicht etwa Gleichstellungsbeauftragte oder Feministinnen. Nein, sie befragten Frauenzeitschriften-Redakteurinnen. Warum eigentlich Brigitte und Elle? Deren Pendants auf Männerseite wären Men’s Health und Kicker. Warum hat keiner die befragt, um zu sehen, was die Männer wählen? Kein Mensch käme auf die Idee, deren Chefredakteure nach den Präferenzen ihrer Leser zu befragen, um ein realistisches Meinungsbild zu erstellen. Dementsprechend schwiemelig fallen dann auch die Antworten der Befragten aus: Frauen achteten mehr aufs „Wie“ als aufs „Was“: Da schneide der Schröder besser ab, weiß eine von ihnen. Da könnte man gleich die Soziobiologie bemühen, nach der Frauen auf Alter, Status und Fürsorglichkeit achten. Schnitte da nicht Stoiber besser ab?

Ihren Frauenbonus hat die SPDverspielt, auch siegarantiert keinenSozialstaat mehr

Das Dilemma liegt darin, dass die Frauen sich im politischen Konzert kaum artikulieren. Natürlich, sie sind kein Kollektivsubjekt. Aber sie hätten durchaus ein paar kollektive Interessen. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern etwa. Nun aber kommt das Paradox der Durchschnittsfrau von heute. Zwar findet sie furchtbar viel ungerecht und dass dies eine Männerwelt ist. Doch Rechte fordert sie nicht. Das gilt heute als unschick. Das hat die Dame nicht nötig. Es gibt die, die sich in der Hausfrau-mit-Doktortitel-Rolle durchaus wohl fühlen. Es gibt die große Menge, die die neoliberale Ich-schaffe-alles-allein-Ideologie mittlerweile derart verinnerlicht hat, dass sie jede politische Regelung zu ihren Gunsten als Schwächebeweis auslegt und sich tunlichst davon distanziert. Dass etwa Frauenförderung ihr einklagbares Recht ist, ist den meisten Frauen schlicht peinlich. Raten sie mal, was Männer mit solchen Rechten machen. Raten sie mal, wer in Deutschland die Klagen einreicht.

Es bleibt ein trübes Bild: Die Frauen von heute sind, was ihre eigenen Interessen angeht, zögerlicher als ihre Kolleginnen vor 100 Jahren, die für politische Beteiligung stritten. Mit Ausnahme einiger Berufsfeministinnen passen sie sich an. Sie verlangen nichts, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Dann wundern sie sich, dass Politik mit ihnen nichts zu tun hat, und unterhalten sich lieber darüber, ob Gerhard Schröder nun eine Geliebte hat oder nicht. Das Wahlverhalten der Frauen ist ein Rätsel? Es folgt nur der neoliberalen Ideologie. HEIDE OESTREICH