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Die FDP gerät ins Stolpern

Die Liberalen haben zwar Stimmen hinzugewonnen. Aber ihre beiden Lieblingsprojekte hat die FDP klar verfehlt – das Ziel „18 Prozent“, und selbst die Grünen sind in weiter Ferne. Möllemann ist der Buhmann – und Wahlsieger in NRW

BERLIN taz ■ Gewonnen und doch verloren: Das ist das paradoxe Wahlergebnis für die FDP. Die Liberalen konnten ihre Stimmen durchaus vermehren. Die Partei erzielte über 7 Prozent, 1998 waren es nur 6,2 Prozent.

Doch die FDP verfehlte damit ihr „Projekt 18“. Es wurde nichts daraus, zur dritten „gesamtdeutschen Volkspartei“ aufzusteigen. Viel schlimmer jedoch, geradezu kränkend für das liberale Selbstbewusstsein: Die FDP schnitt deutlich schlechter ab als die Grünen. Ein Graben von mehr als einem Prozent trennte die Dauer-Konkurrenten. Der Titel „Kanzlerkandidat“, den sich Westerwelle zugelegt hatte, er wirkte gestern nur noch lächerlich.

Westerwelle nannte das Wahlergebnis denn auch umstandslos „enttäuschend“. Erstmals erkannte er an, dass die Liberalen zu den Miniparteien gehören und in der zweiten Liga spielen. Das neue Ziel lautet, „dass die FDP in die 1. Liga aufsteigt“.

Viel Überwindung kosteten diese klaren Worte allerdings nicht, denn die Partei weiß, wen sie für den Schuldigen am Wahldesaster halten will: Vizeparteichef Jürgen Möllemann. Er hatte in der letzten Woche noch eine Flugblattaktion zum Thema Israel gestartet, die deutlich auf antisemitische Wähler zielte.

Wie praktisch für Westerwelle: Kein liberaler Anhänger wollte noch wissen, ob das schlechte Wahlergebnis vielleicht auch damit zu tun haben könnte, dass die Parteispitze keine Koalitionsaussage getroffen hat. Gestern interessierte nur noch, ob Möllemann zum Rücktritt gezwungen würde.

Bis 19 Uhr musste das FDP-Fußvolk in der Berliner Parteizentrale ausharren, dann erschien das Präsidium endlich aus seiner geheimen Sitzung. Versteinert standen sie da auf ihrer Bühne, während Westerwelle bekannt gab, dass man Möllemann „einstimmig“ aufgefordert habe, sein Amt als stellvertretender Parteichef niederzulegen. Die liberalen Anhänger jubelten, sagten erleichtert: „Das wäre eine Befreiung.“ Denn jeder liberale Wahlkämpfer war an jedem Infotisch nur noch mit einem Thema konfrontiert worden: Möllemann.

Der Partei-Buhmann selbst ließ wissen, er werde sich bis heute Mittag überlegen, ob er der Bitte nachkomme. Möllemann kann darauf bauen, dass er in Nordrhein-Westalen ein vergleichsweise gutes Ergebnis erzielt hat. Fast zehn Prozent erreichte die FDP dort, das sind mehr Stimmen als im Bundesdurchschnitt – zu Hause darf sich Möllemann also bestätigt fühlen. Es wird schwer, ihn zu entmachten.

Doch wie auch immer: Zumindest an der Basis hatte gestern niemand das Gefühl, dass die Ära Möllemann in der FDP wirklich zu Ende sein könnte. Man hielt einen möglichen Rücktritt auf Bundesebene eher für „symbolisch“. Denn, so eine rein rhetorische Frage eines einfachen Mitglieds: „Wer soll den nächsten Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen bestreiten?“ Die Antwort wurde gleich mitgeliefert: „Das kann nur Möllemann.“

ULRIKE HERRMANN

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