: Noch mehr Blau
Keine Nebenwirkung des Kokains, sondern Liebe: In Berlin spielte sich David Bowie drei Stunden von Station zu Station durch sein Leben. Am wichtigsten war ihm die Zeit, als er 1976 „Low“ aufnahm
von HARALD FRICKE
Dieses Licht! Dauernd öffnen sich Scheinwerferkegel über den Köpfen im dicht besetzten Innenring. Die blaustichig angestrahlten Silhouetten fangen zu tanzen an; wenn sich die Spots weiterbewegen, fräst sich ihr heller Schein durch das Publikum wie Kreise in einem Kornfeld: geschmackvoll und esoterisch.
David Bowie kommt auf die Bühne. Noch mehr Blau. Eng schmiegt sich der Anzug aus Hedi Slimanes Dior-Kollektion seinem Körper an, betont eine gewisse Zierlichkeit in der Erscheinung, die in jedem seiner Schritte nachfedert. Nur Frank Sinatra hatte so eine Figur: Schmächtig zwar, aber ungeheuer elangeladen, jeder Knochen elektrifiziert, bis zum kleinen Zeh. Cool, swell und swing. Sinatra war auch der erste Popstar, der es vor Bowie mit 55 Jahren noch geschafft hat, als Entertainer auf einer Bühne zu stehen und dabei gut auszusehen. Nicht einfach vital, trainiert und auf Krampf bedacht, das Altern zu kaschieren, während der Herbst innen drin als biologische Bombe tickt – man kennt diese Fratze der Fitness von Wolfgang Joop.
Dagegen scheinen die Furchen in Bowies Gesicht mehr vom Lachen zu kommen. Amüsiert schaut er der vergehenden Zeit zu, die sich in seiner Biografie mal als Mythos vom androgynen Image-Chamäleon, als Glam-Trivia und als Thin-White-Duke-with-Attitude eingeschrieben hat. Was bleibt? Ein Bowie eben, der für einen Moment Neil Young covern kann, im nächsten Brechts und Weills „Alabama Song“ singt und danach „I’m afraid of Americans“. Nicht einmal der Beifallssturm aus dem Block seiner hardboiled Fans, die bei dem Text vermutlich an Bush und Bedrohung denken, kann ihn da irritieren. Die Angst vor Amerika ist bei Bowie kein Alarmismus, sondern Alltagserfahrung, seit er nach New York gezogen ist – er versteht ganz einfach nicht, warum sich das Leben dort fortwährend um Klischees von schnellen Autos und schnellen Pussys dreht. Deshalb singt er darüber, als wäre er selber betroffen – auch das ein ironischer Wink des Elder Statesman.
Doch zum Einstieg in den Abend spielt er „Life on Mars“, das 30 Jahre später stimmlich ein bisschen derangiert und beschwippst klingt, als wäre die Party schon over, bevor sie überhaupt angefangen hat. Die lässige Dissonanz, mit der Bowie neben der Melodie hersingt, ist ein Trick, ein Spiel auf der Bühne und mit der Bühnensituation. Seht her, hier wird entstaubt, was sich auf dem Speicher im Gedächtnis angesammelt hat. Und da jeder die Lieder kennt, kann Bowie es sich leisten, all das, was er vorträgt, nicht ganz ernst zu nehmen. „Ach Gott, das war ‚Space Oddity‘“ seufzt er einmal, als er ein obskures Elektro-Stylophon aus den Sixties hervorkramt und es nach einigen wenigen quietschenden Tönen wieder weglegt, ohne den Song weiter zu würdigen. Damit löst er kaum merklich die Erwartung des Publikums auf, noch einmal in einer Art weihevollem Best-of-Potpourri durch die Geschichte geführt zu werden wie bei einer Gedenksendung auf VH-1.
Stattdessen ist alles gleichzeitig da. Schwerblütige Balladen von früher vermischen sich mit den hektischen Beats des 97er „Earthling“-Albums oder den lang anhaltenden Feedbackschleifen, mit denen Earl Slick seine Gitarre bearbeitet. Dazu blitzen zirkusartig die Buchstaben B-O-W-I-E vor dem rotsamtenen Bühnenvorhang auf – it’s Showtime, at the Max-Schmeling-Halle, vor 12.000 Zuschauern. Als Parodie kommt „Heroes“ mit schalkhaftem Singalong daher und steigert sich zu der Hymne, die es immer schon war: ein Trans-Europa-Express, der hysterisch kreischend in einen Tunnel fährt, der Gegenwart heißt.
Bei „Ashes to Ashes“ fiept es im Saal, bei „Look back in anger“ ächzt und zerrt die siebenköpfige Band wie eine Maschine, der Bowie nicht als Diva von außen zusieht, sondern in der er mit wehendem Haar und ruheloser Gestik aufgeht. Überhaupt mag er seine Karriere retrospektiv lieber R-O-C-K buchstabieren, auch bei der Auswahl der Stücke. Nichts soll mehr an die 80er-Jahre erinnern, als er den Strategien des Pop hinterherlief und sich für Kinderfilme aus Hollywood als Fantasy-Zauberer verkleidete.
Jetzt ist ihm offenbar nur noch der Alien-Charakter von einst wichtig. Nach einer Stunde kündigt Bowie eine Pause an, danach soll das gesamte „Low“-Album – ähem – zur Aufführung gebracht werden. Da ist es dann doch das große Werk, das zählt, so wie vor ein paar Monaten auch Brian Wilson mit den kompletten „Pet Sounds“ durch die Lichtjahre der Psychedelik driftete. Sein Traumschiff war in den imaginären Welten Walt Disneys auf Reisen, bei Bowie ist es eher eine seltsam zerklüftete Moderne aus Synthesizer-Architekturen.
Natürlich liegt diese Reminiszenz in Berlin nahe, das ist für ihn historischer Boden, seit er hier 1976 „Low“ aufgenommen hat. Trotzdem fehlt im Konzert die Dramaturgie der Platte, fehlt dieses Eingeschlossensein im Sound, fehlt auch der eigene Drogenexistenzialismus von damals, mit dem man den eisigen Leerlauf der Elektronik zu Hause am liebsten im Dunkeln zelebrierte. Irgendwie passt Bowies wiederentdeckte Freude an der extrem darken Musik nicht zu den Depressionen, in denen man bei Stücken wie „Warzawa“ oder „Subterraneans“ vor sich hin dämmerte. Da hilft es wenig, wenn er nach tieftraurigen Minimal-Passagen gut gelaunt nachfragt, ob auch alle Spaß haben. Der ist ohnehin zum Schluss bei „Ziggy Stardust“ am größten. Und der Wall of Noise, in dem man fast drei Stunden lang zwischen Musik und Melancholie eingesperrt war, auch.
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