Union startet Rettungskampagne

Union macht Zuwanderung rein zufällig zum Wahlkampfthema. Bundeskanzler Schröder spricht von Verzweiflungstat. Grünen-Chefin Roth beklagt Schmutzkampagne á la Koch

BERLIN taz ■ Sechs Tage vor der Bundestagswahl hat die Union eine Rettungskampagne für ihren Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) gestartet. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz stellten die Unionspolitiker Peter Müller (CDU) und Günther Beckstein (CSU) ein so genanntes „Sofortprogramm“ vor, mit dem sie skeptische Wähler überzeugen wollen, dass Stoiber der bessere Kanzler wäre.

Einen aktuellen Anlass für ihren Vorstoß konnten die Stoiber-Freunde nicht nennen. Mit den schlechten Umfragen habe die Pressekonferenz nichts zu tun, betonte Beckstein. Keinesfalls gehe es auch darum, ein emotional aufgeladenes Thema in den Mittelpunkt des Wahlkampfendspurts zu stellen. Beckstein und Müller taten so, als hätten sie das Thema ihrer Veranstaltung („Weniger Zuwanderung, mehr Integration“) rein zufällig gewählt.

Die Zuwanderung bleibe ein „1-b-Thema“, sagte Beckstein. Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel betonte, die Zuwanderung werde „eingeordnet in die ganz normale Themenpalette“.

Also nur zur besseren Einordnung verdeutlichte Beckstein noch einmal ausführlich die Kritik der Union am rot-grünen Zuwanderungsgesetz. Nur zur besseren Einordnung warf Beckstein der Bundesregierung vor, Deutschland in ein „multikulturelles Land“ verwandeln zu wollen. Das Gesetz werde die Einwanderung nach Deutschland um weit mehr als 100.000 Menschen pro Jahr ausweiten, behauptete Beckstein. Er wolle die Zuwanderung „auf ein verträgliches Maß reduzieren“.

Im Einzelnen plädierte Beckstein dafür, abgelehnte Asylbewerber konsequenter abzuschieben. Außerdem kündigte er an, im Falle eines Wahlsieges das im Zuwanderungsgesetz vorgesehene Punktesystem für Einwanderer ersatzlos zu streichen.

Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber kommentierte das Sofortprogramm scheinbar überrascht. Die Zuwanderung sei schon immer ein Streitthema zwischen Union und Regierung gewesen, sagte Stoiber und fügte hinzu: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.“

SPD und Grüne hatten der Union vorgeworfen, sie schüre angesichts fallender Umfragewerte fremdenfeindliche Emotionen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sprach von einer „Verzweiflungstat“. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne) sah Beckstein „im Trüben fischen“. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte: Wenn die Union an die „schmutzige Kampagne“ des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch von 1999 anknüpfen wolle, werde dies eine „brutalstmögliche Bauchlandung“ geben. Auch Gewerkschaften und Arbeitgeber zeigten sich wenig begeistert. DGB-Chef Michael Sommer kritisierte, mit dem Sofortprogramm „schürt die Union Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Migranten“. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erklärte, Deutschland brauche ein modernes Zuwanderungsrecht. Die rot-grüne Regelung gehe in die richtige Richtung.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wies die Kritik am Zuwanderungsgesetz zurück. Um Beckstein und Stoiber zu ärgern, kündigte Schily an, dass Rita Süssmuth (CDU) den Vorsitz eines neuen „Zuwanderungsrates“ übernehmen werde. Süssmuth hatte bereits die von der Regierung eingesetzte Zuwanderungskommission geleitet.

LUKAS WALLRAFF

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