Die Fackel des Teufelchens

Vor genau 40 Jahren, im September 1962, wurde erstmals „Pardon“ gegeben

Siebzehn Jahre nach Kriegsende war die Nazizeit endlich vorbei, jedenfalls im komischen Gewerbe. So lange hatten auch unter den professionellen Lustigmachern die Mitläufer und inneren Emigranten das Sagen; selbst integre Leute wie Heinz Erhardt und Werner Finck hatten ja mitten in der braunen Scheiße gesteckt.

Die Lage war ernst in den Fünfzigern: Der unpolitische und betuliche Humor prägte die konformistische Stimmung, es gab fast keine Komikbücher und als Satirezeitschrift nur einen Wiedergänger aus dem Kaiserreich, den altersmürben Simplicissimus, der übrigens erst 1967 seinen fehlenden Geist aushauchte.

Die Leute wollten das augenzwinkernde, versöhnliche Lächeln – oder gingen zum Lachen in den Keller, wo die Kabaretts stramm politisch richtige und pädagogisch wertvolle Satire betrieben.

Doch um 1960 begann es zu rumoren: Man hatte allmählich genug vom wilhelminisch geprägten Obrigkeitsstaat, vom katholischen Muckertum und politischen Duckmäusertum und war das reaktionäre Gespenst Adenauer leid.

Und nach diesem langen Vorspann, den zu lesen wenigstens keine siebzehn Jahre dauert, nahte im September 1962 der Augenblick der Befreiung: In Frankfurt am Main erschien die erste Nummer der Satirezeitschrift Pardon. Der innere Emigrant Erich Kästner durfte noch ein Grußwort beisteuern, der nahezu einzige Loriot malte ein Knollennasenmännchen, das einen Blumenstrauß in die Höhe reckt wie eine Freiheitsfackel, aufs Titelblatt, ansonsten besorgten neue Leute das Schreiben und Zeichnen und entwickelten eine neue Komik im neuen Stil mit neuen Formen für neue Themen.

Es entstand eine freie Mischung aus aktuellem Nonsens und konkreter, fallorientierter „Realsatire“ (dieses Wort wurde damals erfunden), aus spielerischer Politpolemik und Kulturkritik mit Schweinskram, aus analytischen Aufsätzen und absurd betexteten Fotos. „Machen Sie doch mal Revolution“, schlug Pardon vor, wollte wissen: „Wie wird man Heiliger?“ und forderte: „Laster sind für alle da“, fragte aber auch: „Wie kann man Straßenbahnschaffner von Thunfischen unterscheiden?“ und porträtierte „Die Bürste, das unbekannte Wesen“.

Die Redaktion machte in Spaßguerillataktik, als sie eine Günter-Grass-Büste im Heldentempel des deutschen Geistes aufstellte („Wallfahrt nach Walhalla“), und ließ den linken Zeitgeist schön angeheitert zu Wort kommen: „Die Basis sprach zum Überbau: / ,Du bist ja heut schon wieder blau!‘ / Da sprach der Überbau zur Basis: / ,Was is?‘“

Robert Gernhardt und F. W. Bernstein, die den Vierzeiler reimten, kamen 1963 zur Pardon. F. K. Waechter, mit dem sie dann die legendären Nonsensseiten „Welt im Spiegel“ machten, war ebenso wie Chlodwig Poth und Hans Traxler schon bei der Blattgründung dabei und hatte das Logo, das hutlüpfende Teufelchen, beigesteuert. 1967 zog der Komikmagnet Pardon Eckhard Henscheid, später noch Peter Knorr und Bernd Eilert an: Damit waren Anfang der Siebzigerjahre jene Zeichner und Schreiber beisammen, die sich später „Neue Frankfurter Schule“ nennen sollten und die Generation der Drostehenschelrattelschneck pp. zeugten.

Von anderen Namen nicht zu schweigen: Bei Pardon begannen komische Spitzenkräfte wie Gerhard Seyfried, Brösel und der starckdeutsche Matthias Koeppel ebenso wie solche Fachkräfte der Öffentlichkeitsarbeit wie Alice Schwarzer und Günter Wallraff, und im „Pardon-Shop“ übte Lutz Kroth für Zweitausendeins.

In Aufstieg und Fall der Pardon spiegelt sich oppositionelle bundesdeutsche Geschichte. Ähnlich wie die situationistische Keimzelle der 68er in Berlin gab sich Pardon in Frankfurt ausdrücklich „linksintellektuell und zersetzend“, legte sich, lange vor den Studenten, mit Springer an und schwamm auf der Sexwelle mit („Liebende aller Länder, vereinigt euch!“, forderte das Blatt im Mai 1967). In den dekadenten Siebzigern ging es bergab. Ratlos wie die meisten Komiker und Kabarettisten, die unter der sozialliberalen Regierung zahnlos wurden wie Wolfgang Neuss, beging Pardon zweifachen Etikettenschwindel: Erstens hinkte man dem Blödelboom hinterher, den man selbst einst angefacht hatte, kaufte aber komplett unbegabte Autoren ein und verramschte deren Schrott in der auf billigem Papier zusammengeklatschten Beilage „Slapstick“. Zweitens und schlimmer, hob das Satiremagazin im Geist der Transzendentalen Meditation ab. „Kein Witz: Ich kann fliegen!“, titelte Chefredakteur Hans A. Nikel ganz im Ernst im November 1977 – tatsächlich war die Pardon am Ende ihres Witzes.

1980, seine besten Mitarbeiter hatten sich selbstständig gemacht und die Titanic gegründet, verkaufte Nikel die Pardon an den Konkret-Verlag, verlegte sich auf selbst gemachte Kunst und bastelt bis heute Skulpturen. Pardon hingegen steuerte unter Henning Venske noch mal demonstrativen Linkskurs, bis im Sommer 1982 endgültig Schluss mit lustig war. Genau wie kurz darauf in Bonn mit dem letzten Rest Reformpolitik. PETER KÖHLER