: Erster europäischer Sozialbericht für Studierende
Der bislang unveröffentlichte Bericht vergleicht acht europäische Staaten. Deutschland gelingt es nicht, die Kinder aus Arbeiterfamilien auf die Hochschulen zu bringen. Klassenbester ist erneut Finnland: Der Anteil an Geringverdienern ist dort in der Bevölkerung und an Unis praktisch gleich
BERLIN taz ■ Der Ton war alarmistisch. Die Mails quollen über. Das Fax stand nicht mehr still. Vergangene Woche hatten die Studentenfunktionäre wieder mal einen echten Skandal ausgemacht. Der „Euro Student Report“, eine brandheiße Studie über die soziale Lage der Studierenden in Europa, werde von der Bildungsministerin zurückgehalten, teilte nicht allein das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ empört mit. Edelgard Bulmahn (SPD) wolle so die Wahlchancen ihrer unsozialen Regierung verbessern.
Die Studis kämpften unverzagt. Angeblich liege der „Euro Student Report“ schon länger im Keller des Studentenwerks und dürfe nicht an die Öffentlichkeit gelangen. „Es hieß, man wolle die Bundestagswahl abwarten“, so Christian Schneijderberg vom Aktionsbündnis. Das Studentenwerk sei bereits zu einer Pressekonferenz eingeladen gewesen – und sei dann ganz kurzfristig wieder zurückgepfiffen worden.
Eine große Debatte, wie etwa um die Pisa-Studie, hat es um „Euro Student“ in der Tat nicht gegeben. Aber das ist kein Wunder. Für die Studie verglichen Studentenforscher zwar Sozialdaten aus acht Staaten – aber solche, die seit drei Jahren vorliegen. Inzwischen haben das die Studis gemerkt: „Da steht nichts Neues drin.“
Neu ist es nicht, auch nicht skandalös, aber interessant: Deutschland macht nämlich erneut keine gute Figur in Sachen Bildung. In der Studie haben die Wissenschaftler etwa die Anteile der Kinder aus Arbeiterfamilien in der Gesamtbevölkerung mit dem Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien an Hochschulen verglichen. Sie fanden dabei heraus, dass das Verhältnis in keinem Land eins zu eins ist. Für Finnland, das auch bei anderen Bildungsstudien die Rangliste als Sieger anführt, stellten die Forscher das beste Verhältnis fest. Deutschland kann nur eine Übereinstimmung von 0,5 vorzeigen. Das bedeutet: Trotz staatlicher Förderung und dem Anspruch der neuen alten Regierung, allen die gleiche Chance auf Bildung einzuräumen, gehen viel mehr Kinder aus reichen Elternhäusern an die Unis als die von Kleinverdienern.
Das wird auch dann bestätigt, wenn man sich den Bildungsgrad der Eltern (besonders des Vaters) anschaut. 16 Prozent der Männer zwischen 40 und 60 Jahren haben in Deutschland einen Universitätsabschluss – aber 37 Prozent der Väter von Studenten haben einen Hochschulabschluss. Das sei eben so, argumentieren viele. Länder wie Österreich, Irland und vor allem Finnland zeigen aber, dass man es viel besser machen kann.
Wie kommt es, dass es immer noch einen so großen Unterschied zwischen der Herkunft der Studierenden gibt – trotz staatlicher Studienförderung? Der Report vergleicht, wie viele Studenten vom Staat gefördert werden. Während die Niederlande hier mit 90 Prozent Spitzenreiter sind und Finnland immerhin 83 Prozent seiner Studenten fördert, kommen in Deutschland nur 21 Prozent der Studenten in den Genuss staatlicher Unterstützung. Übersetzt bedeutet das, dass nur einer von fünf Studenten in Deutschland Zuschüsse bekommt.
Allerdings gibt der deutsche Staat im Durchschnitt zu den anderen europäischen Ländern mehr Geld aus. In Deutschland sind es 326 Euro im Monat, die ein deutscher Student einstreichen kann. Junge Holländer bekommen nur 188 Euro – was gleichzeitig der niedrigste Förderungsbetrag ist. Für Italien und Belgien gilt: Wenige Studenten erhalten wenig Geld.
Konkret heißt das also, wer in Europa studieren will, muss sich neben dem Bafög Möglichkeiten suchen, sein Studium zu finanzieren. Da wären zum einen die Eltern, zum anderen der Job als Kellner oder Zeitungsabonnementverteiler. Trotz aller Unterschiede bei der staatlichen Förderung: Der Anteil der Nebeneinkünfte durch Jobs, den Europas Studierende brauchen, liegt zwischen 35 und 51 Prozent. Nur in Belgien und Österreich jobben künftige Akademiker wenig.
Christian Schneijderberg vom „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS) sieht sich in seiner Meinung bestätigt, dass der Staat das Studium besser finanzieren muss – und bringt das große Vorbild Finnland ins Spiel. „Dort ist es viel einfacher, auf dem zweiten Bildungsweg in die Hochschule zu kommen“, meint Schneijderberg. Im Übrigen sieht er die Forderungen seines Bündnisses bestätigt: keine Studiengebühren für Langzeitstudierende. Wie in Finnland müssten Gebühren verboten werden.
Dass die entscheidende Größe das Schulsystem ist, war für den ABS – wieder – kein Thema. Finnlands Schulen führen über 90 Prozent eines Schülerjahrgangs zur Hochschulreife. In Deutschland schaffen, je nach Bundesland, nur 19 bis 30 Prozent das Abitur. NICOLE KUHN
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