piwik no script img

„Nicht rechtzeitig Paroli geboten“

Hildegard Hamm-Brücher erklärt ihren Austritt aus der FDP. Gerhart Baum: Der Geruch der Spaßpartei muss weg

BERLIN taz ■ Es ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt: Wie gestern bekannt wurde, hat Hildegard Hamm-Brücher (81) einen Tag vor dem Rücktritt Jürgen Möllemanns als Partei-Vize die FDP verlassen. Sie begründete ihren Austritt in einem Brief an den Vorsitzenden Guido Westerwelle mit dessen Unvermögen, dem „Möllemann-Kurs rechtzeitig Paroli“ zu bieten.

Der Brief datiert vom 22. September. Hamm-Brücher schreibt, sie habe die Entscheidung bewusst unabhängig vom Wahlausgang und der Zukunft Möllemanns getroffen. Durch die „andauernde rechtspopulistische, antiisraelische und tendenziell Antisemitismus schürende Agitation“ Möllemanns sei eine Entfremdung zwischen der FDP und ihr eingetreten. Seit dem Erleben der Nazi-Diktatur engagiere sie sich gegen Rassen- und Fremdenhass. Die „diesbezüglichen taktischen Kursschwankungen und Formelkompromisse, wie sie in der FDP gang und gebe geworden sind“, wolle sie nicht länger mittragen. Westerwelle warf sie vor, seine „Führungsverantwortung nicht rechtzeitig und nicht ausreichend wahrgenommen“ zu haben. „Für Last-Minute-Absetzbewegungen ist es nun zu spät. Langwierige Personalquerelen und Turbulenzen sind absehbar“, schreibt sie.

Bereits im Juni, als Jürgen Möllemann dem wegen antisemitischer Äußerungen bei den Grünen nicht mehr erwünschten Jamal Karsli eine neue politische Heimat anbot, hatte Hamm-Brücher mit ihrem Parteiaustritt gedroht und seine Ablösung als FDP-Vize gefordert. Als Möllemann zurückkeilte, indem er sie und andere ältere Liberale wie den Exinnenminister Gerhart Baum als „Querulanten“ bezeichnete und zum Austritt aufforderte, antwortete sie dennoch kampfesbereit: Sie denke gar nicht daran.

Jetzt ist ihre Forderung erfüllt, Möllemann zurückgetreten – und Hamm-Brücher verlässt die Partei trotzdem. Für eine aktuelle Stellungnahme war sie zunächst nicht zu erreichen. Da sie aber den Brief nach Möllemanns Rücktritt nicht stoppte, geht sie wohl – vielleicht nicht zu Unrecht – davon aus, dass die „Turbulenzen“ noch nicht zu Ende sind.

Westerwelle schrieb gestern eine Antwort, deren veröffentlichte Auszüge eher dürr daherkommen: „Bedaure zutiefst“, heißt es darin. Wie Hamm-Brücher zählt er alte FDP-Fahrensleute auf, in deren Tradition von Freiheit und Verantwortung er die FPD sehe. „Dafür stehe ich auch persönlich. Das wissen Sie, weil Sie mich seit meiner Studentenzeit kennen“, lässt er erklären. Kein Wort über Möllemann – jedenfalls nicht im Presse-Auszug. Baum bedauerte den Austritt. „Ich werde das nicht tun,“ sagte er der taz. Er sei überzeugt, dass der „Möllemann-Kurs jetzt beendet ist“. Die Strategie 18 sei nicht mehr glaubwürdig. „Dieser Geruch der Spaßpartei muss weg. Ich bin nicht sicher, dass das geht, aber ich kämpfe dafür.“ HEIDE OESTREICH

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen