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„Aber zweie hamse noch“

Nicole Blum ist 21, sie findet Gerhard Schröder sympathisch: „Ist mir doch egal, ob die PDS drin ist“

aus Halle HEIKE HAARHOFF

Was sie von den Westdeutschen zu erwarten hat, erfuhr Jutta Schäfer gleich nach der Wende. Geh dahin, wo du herkommst, ranzten die Kollegen ihren Sohn an, kaum dass der sich in München bei einer Firma als Kraftfahrer vorgestellt hatte. Eine Jobagentur aus dem heimischen Halle hatte ihn nach Bayern vermittelt, aber an ein entspanntes Arbeitsverhältnis war ja nicht zu denken. Jutta Schäfer hat das nicht verziehen. „Die Bayern sind die schlimmsten Gegner von uns Ostdeutschen“, sagt sie, und niemand wird sie von diesem Grundsatz abbringen. Niemand! Nicht einmal Edmund Stoiber persönlich.

Jutta Schäfers Augen blitzen hinter der runden Brille mit dem gemusterten Rahmen, eine graublonde Strähne bahnt sich den verbotenen Weg unter der obligatorischen weißen Haube der Fabrikarbeiterin hinaus auf die Stirn. Stoiber war nämlich bei ihr, jawohl, hier bei Halloren in Halle, der ältesten Schokoladenfabrik Deutschlands, schön Wetter machen im Wahlkampf, nicht wahr! Jutta Schäfer hat für ihn sogar die Schicht unterbrochen, für eine Schichtführerin will das was heißen, damit er sich Bänder und Beschäftigte in der süßlich-milchig duftenden Produktionshalle im Gewerbegebiet von Halle ansehen kann. Obwohl ihr Stoiber bei dem Besuch sympathisch schien, stand für sie anschließend fest: „Wie immer kriegt die PDS meine Stimme.“

Weil diese Partei die einzige ist, die weiß, wie eine Mutter empfindet, wenn ihr Sohn von Wessis gesagt kriegt, geh doch nach Hause. Weil sie die einzige ist, die sich dagegen wehrt, dass viele ostdeutsche Arbeiter immer noch schlechter bezahlt werden als westdeutsche. Weil sie die einzige ist, die die großen Parteien an ihre uneingelösten Versprechen für die neuen Länder erinnert und daran, dass eine ostdeutsche Biografie nicht automatisch eine wertlose sei: „Deswegen hab ich sie gewählt.“

Und nun ist die PDS draußen, rausgeflogen aus dem Bundestag, zum ersten Mal seit 1990, und Jutta Schäfer blickt durch ihre Brille in die Leere irgendwo am Ende der sehr langen, sehr lauten Produktionshalle, so als geschehe dort hinten etwas außerhalb ihrer Kontrolle. 55 Jahre ist sie alt, Anfang des Monats hat sie ihr 35. Dienstjubiläum bei Halloren gefeiert. Für ein paar Sekunden lässt sie das Fließband Fließband sein, überlässt die vorbeiziehenden walnussgroßen, braun-gelben Schoko-Eierlikör-Kugelfüllungen sich selbst beziehungsweise den Kolleginnen.

Sechzig Reihen à 24 Kugeln pro Minute ziehen in militärisch strenger Anordnung auf dem Band vorbei, man muss höllisch aufpassen, dass man die Deformierten, per Hand Auszusortierenden vor lauter braun-gelb-braun-gelb-braunem Flimmern nicht übersieht, aber sie muss jetzt mal einen Schritt zurücktreten, sich besinnen, was eigentlich passiert ist, und dann entfährt es ihr: „Die Westdeutschen bestimmen alles über uns, die wissen gar nicht, wie viel wir für sie gearbeitet haben, als die Grenze noch zu war, jahrelang waren wir billige Arbeiter für sie, wo haben wir nicht überall hingeliefert in den Westen, unsere Halloren-Kugeln, schöne Kugeln.“

Früher, in der DDR, gingen 90 Prozent der Produktion in den Export. 350 Beschäftigte hatte das Werk damals, heute sind es noch 120 Arbeiter, fast ausschließlich Frauen. Ein bisschen wie Krankenschwestern sehen sie aus mit ihren weißen Hauben, weißen Kitteln, weißen Hosen. „Früher waren wir gut, und jetzt …“ Jetzt ist keiner mehr da, der den Westdeutschen das bei Gelegenheit aufs Butterbrot schmieren könnte. „Schade“, sagt Jutta Schäfer, „richtig schade ist das mit der PDS.“

Vom hinteren Ende der Halle, dort, wo die fertigen Pralinen in goldenen Plastikschalen ankommen, bevor ihnen maschinell die Pappverpackung übergestülpt wird, schallt es Solidarität herüber. „Wir haben entbunden und standen wieder auf der Matte!“ Sie muss gegen den Maschinenlärm anbrüllen. „Sie sind aus dem Westen? Dann wissen Sie nicht, wie das ist.“ Die Frau ist 56 Jahre alt, trägt die langen Haare hochgesteckt unter der weißen Haube und Plastikschutz an jedem Finger, um die einzelnen Pralinen bei der Kontrolle nicht zu beschädigen. Ihren Namen mag sie nicht nennen. „Der Zug ist abgefahren für die PDS“, sagt sie in einem Ton, als hätte auch sie die Abfahrt verpasst. Denn dass ein PDS-Comeback nach vier Jahren Abwesenheit im Bundestag 2006 schwierig sein dürfte, kann sie sich an zwei Fingern abzählen, „dabei interessiere ich mich eigentlich nicht für Politik“.

Den Roland Claus hat sie gewählt, weil der Fraktionschef der PDS im Bundestag aus Halle kommt und hier am Sonntag Kandidat war. Mit Aussichten, das dritte, entscheidende Direktmandat zu holen, trotz der Prominenz, die in Halle antrat: die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper, die SPD-Frau Christel Riemann-Hahnewinckel, Mitglied im Bundesfraktionsvorstand, und für die CDU Christoph Bergner, ehemals Ministerpräsident Sachsen-Anhalts. Es werde trotzdem gut für ihn ausgehen, dachte Roland Claus. Dachte auch die Frau am hinteren Ende der Halle, dort, wo die Pralinen in goldenen Kunststoffschalen ankommen. Stattdessen ist die PDS in Halle von 23,8 Prozent auf 17,2 Prozent abgesackt, die Fraktion von Roland Claus wird es nicht mehr geben. Trotzig sagt sie: „Aber zweie ham se noch in der PDS.“

Nicole Blume lädt Schoko-Eierlikör-Kugeln auf Paletten, 20 Packungen pro Kleinkarton, aufeinander, nebeneinander, bücken, stapeln, bücken, stapeln, sie hat Tempo, selten fällt ein Karton wieder runter. 21 Jahre ist sie alt, seit vergangenem November im Betrieb. Wie sie es findet, dass die PDS aus dem Bundestag geflogen ist? Erste Gegenfrage: Wieso soll sie dazu was finden? Zweitens: Wieso zur PDS? „Ist mir doch egal, ob die PDS drin ist oder nicht.“ Aha. Und wer vertritt dann die Interessen der Ostdeutschen? Sie guckt so unsicher und beleidigt, wie man eben so guckt, wenn man sich extrem verschaukelt fühlt. „Ich weiß überhaupt nicht, wer sagt, dass die PDS die Interessen der neuen Länder vertritt.“ Die PDS selbst? Schön, dann soll sie das mal sagen. „Trifft für mich nicht zu.“ Sie wendet sich wieder ihrer Palette zu. Kurze Nachfrage: Waren Sie wählen? „Klar! SPD!“ Jetzt wird ihr Ausdruck freundlicher. „Den Schröder, den find ich sympathisch.“

Jutta Schäfer ist 55. Sie sagt, nur eine Partei würdige die Ostbiografien: „Richtig schade ist das mit der PDS“

Weil er nicht nur redet, sondern auch was tut, siehe Hochwasser, sagt ihre Kollegin Marion Fiedler nebenan an der Kontrollwaage. Weil er sich unter anderem für den Waggonbau Ammendorf eingesetzt hat, gar nicht weit weg von Halloren gelegen, im Frühsommer, als dem Waggonbau die Schließung und einigen ihrer Freunde die Arbeitslosigkeit drohte. Marion Fiedler ist 29 Jahre alt, sie ist Facharbeiterin für Lebensmitteltechnik, sie hat wöchentlich wechselnde Schichten von 5.30 bis 14 Uhr beziehungsweise 14 bis 22.30 Uhr und „einen tollen Mann, der das mitmacht“. Zur PDS fällt auch ihr nicht viel ein. Nur so viel: „Die Älteren wählen die, weil die auch noch die SED kannten, weil sie die immer gewählt haben.“ Aber Marion Fiedler ist in einer anderen Welt aufgewachsen. Als die Mauer fiel, war sie 16. Sie trauert nichts hinterher. Sicher, sagt sie, gibt es ostdeutsche Interessen, weniger Arbeitslose wären zum Beispiel gut, aber ob sich dafür nun ein Westdeutscher oder ein Ostdeutscher stark macht? „Das ist mir nun wirklich egal.“

Hauptsache, irgendwas passiert.

Rita Kranich, 49 Jahre, konzentriert sich ganz auf den Bildschirm. Per Knopfdruck füllt sie die beiden großen Kneter in der Halle mit Masse. Paste, Vollmilchpulver, Aroma. Klick, klick, klick, 250 Kilo Masse pro Kneterwaage. Seit 32 Jahren bestimmt sie die einzelnen Füllmengen. Früher noch ohne Computer. Heute ist einiges leichter geworden. Und trotzdem. Von einem deutschen Land, sagt sie, könne keine Rede sein, immer noch nicht, vielleicht nie. Zu groß die wirtschaftlichen Unterschiede, zu klein das gegenseitige Verstehen. All die Jahre, all die Wahlen, kommunal, Landtag, Bundestag, hat Rita Kranich auf dem Stimmzettel die PDS angekreuzt. Damit was passiert. „Aber die PDS lässt nach“, sagt sie. Ihre Abgeordneten reden, dass sie was tun wollen für die Menschen im Osten, sie brüsten sich mit ihrer Vor- Ort-Kenntnis, aber haben keine Konzepte. „Und wer dann am Ende vorbeikommt, ist nicht die PDS, sondern der Schröder“.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hat Rita Kranich am vergangenen Sonntag für die SPD gestimmt. Sie sagt das leise, so als sei es ein Schuldeingeständnis, und auch erst dann, als ihre Schichtführerin Jutta Schäfer außer Sicht ist. Sie fügt hinzu. „Es ist schade um die PDS.“

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