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robin alexander über schicksalSchweig und rauch

Der unspektakuläre Bericht über eine Mutation

Seid voller Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchung geratet. Jakobus 1,2

Es war doch nur ein Text! Und nicht einmal ein ernst gemeinter. Was macht eigentlich Hartmut Mehdorn?, hatte ich in einer kleinen, satirischen Rubrik des Lokalteils gefragt und dem Bahnchef die Eigenschaft „Menschen quälen“ zugeschrieben. Zu Recht, denn Mehdorn ist ein Wiederholungstäter. Auf seinem Kreuzzug gegen Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe macht er vor nichts halt. Vor ein paar Monaten landete er mit der Entscheidung in den Schlagzeilen, Obdachlose aus den Bahnhöfen zu treiben. Ihr Anblick störe die Reisenden. Wenig später kündigte er das Ende der Speisewagen an – ein unglaublicher zivilisatorischer Rückschritt.

Im Vergleich dazu war der Anlass für das Textchen über Mehdorn geradezu eine Petitesse. Der Bahnchef hatte angekündigt, auf ausgewählten Bahnhöfen – quasi testweise – das Rauchen verbieten zu wollen.

Hätte ich doch geschwiegen! Aber ich hatte ja keine Ahnung, welche Geister ich rief. Empörung via Brief und E-Mail erreichte mich – als hätte ich mich nicht für die Erlaubnis zum Rauchen in Bahnhöfen eingesetzt, sondern für die Anerkennung der Kostenerstattung für afrikanische Genitalbeschneidung durch deutsche Krankenkassen. Zur Illustration ein Auszug eines unter dem Pseudonym „diwa“ verfassten Leserbeitrags: „Aber der Author dieses Beitrags, Robin Alexander, ein offensichtlich drogenbegeisterter Egomane und unfreiwilliger Werber der Zigarettenindustrie, bringt mich doch noch dazu, gegen diese Art von destruktivem Journalismus Stellung zu beziehen.“ Weiter empfiehlt mir die Verfasserin/der Verfasser, als „unverbesserlicher, charakterschwacher Aggressivraucher, therapeutische Hilfe“ in Anspruch zu nehmen und endet lateinisch. Nihil sine ratio.“

Auch vom Leser muss man sich nicht alles gefallen lassen. Deshalb formulierte ich eine geharnischte Antwort:

Liebe Diwa,

Drogenbegeisterung und Egomanie sind Werte, die im Journalismus traditionell hochgehalten werden. Aber wie kommen Sie darauf, ich sei ein „Werber der Zigarrettenindustrie“? Ich – ein bezahlter Schreiberling? Ein Lobbyist gar? Frechheit!

Übrigens: Diva schreibt man nicht mit w. Nihil sine Rechtschreibfehler. Der Author.

Das habe ich natürlich nicht abgeschickt. Kündigungsformular zurück in die Schublade, liebe Geschäftsführung. Ich weiß: Abonnenten beschimpfen ist verboten.

Dann aber geschah das Überraschende: Ein Anruf. Eine Einladung. Ob ich nicht vorbeikommen wolle – zur „blauen Stunde“. Man erwarte mich mit leckerem Essen, gepflegten Getränken und Panoramablick vom Dach eines Hochhauses. Ganz unverbindlich träfen sich hier „zum Gespräch“ Journalisten und Politiker. Veranstalter: Der Verband der Zigarrettenindustrie.

– Äh. Wie sind Sie denn auf mich gekommen?

– Wir haben da etwas ganz Nettes von Ihnen gelesen.

– Ich komme gern.

Was ich durch jahrelangen politischen Journalismus nicht schaffte, erreichte ich mit einer einzigen kleinen Satire. War diwa prophetisch veranlagt? Lasse ich mich für gutes Essen und teuren Wein einspannen für die finsteren Pläne von Philip Morris? Stehe ich bald auf der Pay-Roll der Suchtindustrie? Und: Wer steht da noch drauf? Hat es bei Cem Özdemir auch so angefangen? Brauche ich zufällig gerade einen Kredit von 80.000 Mark?

Meine Mutation vom unbestechlichen Journalisten zum Marlboro-Mann verlief dann aber ganz unspektakulär. Man unterhielt sich angeregt bei Cidre und französischem Käse über den Dächern Berlins. Die Zigarretten-Lobbyisten wiesen mich freundlich darauf hin, dass ein EU-Werbeverbot für Tabakwaren viele Arbeitsplätze in den Medien vernichten werde – das stimmte mich nachdenklich –, und bekundeten ihre Ablehnung gegen Verbraucherministerin Künast. Abweichende Meinungen wurden lächelnd akzeptiert – wer heutzutage Nikotin verkauft, hat Toleranz schätzen gelernt. Unsittliche Angebote gab es keine, nur Zigarrettenpäcken zum Mitnehmen. Das denkbar schlechteste Bestechungsmittel für mich – ich bin Nichtraucher.

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