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Seifenoper im Kaukasus

auf Tiflis KLAUS-HELGE DONATH

„Ohne Sondergenehmigung ist hier Schluss“, meint der Kontrollposten eisern. Er bleibt hart und unempfänglich für pragmatische, kaukasische Lösungen. „Telavi, Tiflis“, murmelt er, dort könne man noch mal wegen eines Passierscheins vorsprechen. Seine Miene verrät indes: Die Mühe lohnt sich nicht. Bei der Durchsuchungsaktion jenseits des Schlagbaums wollen Georgiens Sicherheitsorgane unter sich sein. Hier weht ein frischer Wind … gibt der Offizier zu verstehen. Gemessenen Schrittes kehrt er zu seinen Kameraden zurück, drei schwergewichtigen Desperados mit Dreitagesbärten hinter spiegelnden Sonnenbrillen, die sich im Schatten auf einer wackligen Bank räkeln. Es sind Recken einer neuen Sondertruppe, die im Rahmen der Säuberungsmaßnahme des Innenministeriums den Zugang in das Pankisital bewacht.

Jenes „Tal des Bösen“, das inzwischen zum Inbegriff allen weltlichen Übels geworden ist. Auf diesem Fleckchen Erde von vielleicht 50 Quadratkilometern sammeln sich angeblich nicht nur international gesuchte Al-Qaida-Kämpfer, hier werden Drogen, Menschen und Waffen umgeschlagen. Im Februar wollte Washington sogar Bin Laden am Südhang des Kaukasus gesichtet haben, gab aber schnell Entwarnung. Nachbar Russland hätte am liebsten auf eigene Faust nach dem Saudi gejagt. Dabei hat es der Kreml nicht allein auf Bin Laden abgesehen. Tschetschenische Rebellen, die seit Kriegsbeginn in Pankisi Unterschlupf suchen, sind Moskau ein Dorn im Auge. Aber auch das ist wiederum nur ein Teil der Wahrheit. Der Kreml wittert Morgenluft: Vielleicht lässt sich doch noch im Windschatten eines Irakfeldzuges ein kleines geopolitisches Comeback vollbringen.

Immerhin gehörte Georgien zwei Jahrhunderte zum Einflussgebiet Russlands. Letzte Woche drohte Präsident Wladimir Putin, in dem gottverlassenen Satanswinkel selbst für Ordnung zu sorgen. Fliegende Vorboten hatten im August erstmals lebende Ziele ins Visier genommen und einen Menschen getötet. Vierzig Kilometer war der Flieger in Feindesland vorgestoßen.

Der Sprung hinter die Linien gelingt schließlich mit einem Tag Verspätung und der nicht ganz selbstlosen Hilfe eines Ordnungshüters aus der benachbarten Kreisstadt Achmeta. Als der Jeep auf den Kontrollpunkt zurollt, hebt sich die Schranke wie von alleine. Einmal, zweimal, das Gleiche auch beim nächsten Posten, der Fahrer nimmt nicht mal den Fuß vom Gas. Die Kostümierung als „kaukasischer Typ“, auf der der Helfer bestanden hatte, wäre gar nicht nötig gewesen. Sie passte aber zur Inszenierung des Schauspiels rund um Pankisi.

Die Fahrt führt vorbei an saftigen Wiesen und Maulbeerbäumen auf sanften Anhöhen. Im Hauptort des Tales, Duissi, stehen die Männer schon am frühen Morgen in Grüppchen auf der Straße herum. 3.000 Einwohner zählte Duissi, bevor die Russen Tschetschenien mit Krieg überzogen. Auch die Ureinwohner stammen aus dem Nordkaukasus. Sie heißen Kisten, sind ethnische Tschetschenen und flohen gegen Ende des 18. Jahrhunderts vor den russischen Kolonisatoren über die Berge in das georgische Kachetien. Das verbindet. Inzwischen sind 4.000 tschetschenische Flüchtlinge hinzugekommen. Arbeit gibt es kaum. Wer neu und fremd ist, bleibt nicht lange unentdeckt. Möglichst unauffällig bewegen, warnt Lehrerin Zarema daher, angeblich wimmele es von Spionen und Zuträgern diverser Geheimdienste. Die jahrelange Abgeschiedenheit des Tales, mangelnde Informationen und Angst vor russischen Angriffen schüren wilde Spekulationen.

Djarap Changoschwili ist Duissis Bürgermeister, dreimal bestätigte ihn die Gemeinde in Amt und Würden. Der ehemalige Geschichtslehrer ist eine Autorität. Das Anwesen, ganz in Weiß, hebt sich ab von den grauen Bauernhäusern der Umgebung. Es gleicht einem Fort mit unüberwindbaren Palisaden. Der Vorhof ist bis in den letzten Winkel mit geschliffenem Naturstein ausgelegt, der helle Ton vermittelt den Eindruck von unendlicher Großzügigkeit. Herrschaftsarchitektur auf Tschetschenisch.

Kein Zugriff der Zentralmacht

In den letzten drei Jahren, seit Ausbruch des Tschetschenienkrieges, hat sich das Pankisital dem Zugriff der Zentralmacht entzogen. Das behauptet zumindest Tiflis, das nun nach Washingtons Wünschen Ordnung schaffen soll. Changoschwili lehnt die Schuldzuweisung zurück: „Politiker in Tiflis hatten jederzeit die Möglichkeit, in Pankisi nach dem Rechten zu schauen. Außerdem haben auch unsere Polizisten gewissenhaft gearbeitet.“ Einer Stationierung von Polizeikräften, behauptet der Ortsvorsteher, hätte nie etwas im Wege gestanden. Doch statt Hinweise der lokalen Polizei ernst zu nehmen, hätte Tiflis Kriminelle einfach frei herumlaufen lassen. Kein Wunder, wenn sich nach und nach immer mehr Banditen im Tal einquartiert hätten.

„Wir sind froh, dass die Armee endlich eingerückt ist“, sagt er. Wirklich? Der wahre Grund wird ein anderer gewesen sein. Angst vor den Russen und die Hoffnung, ein Zusammenstoß mit georgischen Militärs möge den zürnenden Nachbarn von einer kriegerischen Intervention abhalten, hat die Zustimmung bewirkt. Überschwänglich wie Befreier begrüßten Kinder die georgischen Soldaten, berichteten zentrale Gazetten.

Die Einheiten richten sich auf eine längere Zeit ein. Am Rande des Dorfes sind inzwischen drei Kasernen im Bau, das Geld stellte Washington bereit. Den letzten Neubau, die Moschee aus rotem Klinker, das einzige Gotteshaus des Ortes, finanzierten noch die Saudis für die hundert oder zweihundert islamistischen Söldner, die die Reihen der rebellischen Tschetschenen stärkten.

Wie viel heilige Krieger es genau waren, darüber wird hier niemand Auskunft geben. Jedes Wort könnte sich als Zeitbombe entpuppen. Eine bedrückende Stimmung hängt über dem Ort, die sich nicht allein mit der Angst vor russischen Bomben erklären lässt. Derweil zeigt Changoschwili Richtung Osten, fünf Kilometer von hier stehen schon US-Soldaten, die georgische Spezialeinheiten ausbilden. Die Ortswahl ist nicht zufällig und soll wohl als Warnung an Moskau und Duissi verstanden werden. Mit Machtwechseln geht der Kaukasus ungezwungen um, meist beleben sie das Geschäft.

Drogen, Kidnapping, Waffenhandel

Weder Tiflis noch Duissi hatten vor der Drohung aus Moskau Interesse an geordneten Verhältnissen. Krieg, tschetschenische Flüchtlinge und selbstgebieterische Warlords lieferten eine hervorragende Kulisse für kriminelle Aktivitäten, an denen georgische Bürokraten und Politiker kräftig mitverdienen. Inzwischen gilt das als offenes Geheimnis. Im letzten Jahr gab es nur einen Fall, der Inneminister trat zurück, wurde aber sonst nicht belangt. Kriminologe Giorgi Glonti vom Institut für Staatsrecht in Tiflis trägt seit Jahren Daten zusammen. Drogen, Kidnapping, Waffenhandel und Prostitution sind die einträglichsten Geschäftszweige in der Kaukasusrepublik: Und was auf zwischenstaatlicher Ebene nicht funktioniert, exerzieren die Ganoven Georgiens und Russlands vor: Sie kooperieren reibungslos.

Die Staatsmacht indessen greift inzwischen durch. Zumindest tut sie so. In Achmeta wurde der Polizeichef am Wochenende verhaftet. Er soll schuld sein, dass ein inhaftierter tschetschenischer Drogenhändler, der in Pankisi bei einem Schusswechsel verletzt wurde, aus dem Krankenhaus fliehen konnte. 2.500 Unterschriften haben die Bürger der Kreisstadt zur Unterstützung ihres Polizeichefs gesammelt. Sie vermuten, er soll als Sündenbock herhalten.

Ähnlich sieht das auch Mirian Tsiskarischwili. Der ehemalige Offizier der Sowjetarmee hat schon im vergangenen Jahr in Achmeta demonstriert, um Tiflis zu bewegen, etwas gegen die ausufernde Kriminalität in der Region zu unternehmen. „Den großen Versprechungen folgten keine Taten“, meint der stramme Mittsechziger. Dennoch war der Protest der Bürger nicht erfolglos. Tagelang verbarrikadierten sie die Talausfahrt. Die Geisel, um die es ging, wurde ohne Lösegeld auf freien Fuß gesetzt. Offensichtlich war im Tal bekannt, wer mit Entführungen Geld verdient. Als Mitarbeiter des Roten Kreuzes hat er Flüchtlinge in der ganzen Schlucht versorgt. Dutzenden von Arabern sei er dabei begegnet und habe auch Trainingslager entdeckt, erzählt er, bis seine Frau ihn laut auf Georgisch unterbricht. Sie fürchtet, eines Tages werde sich jemand rächen. Ob Tschetschene, Georgier oder Russe …

Vor der „Säuberungsaktion“ haben sich die Rebellen aus dem Tal in die Berge abgesetzt. Tiflis wollte kein Blutvergießen. 250 oder 300 sind es wohl gewesen. Auch das gibt in Pankisi niemand preis. Einige vermuten, die Freischärler hätten sich den Weg über die 50 Kilometer entfernte alpine Grenze freigekauft. Alles spricht dafür, dass sie sich noch in den Wäldern verstecken. Der Weg nach Russland wäre der sichere Tod.

Erst der Wintereinbruch wird das Geheimnnis lüften. Bisher wagt es niemand auszusprechen: Angst geht um im Tal, die Rebellen könnten zurückkehren und einen Ausbruchsversuch gegen die schwächere georgische Armee unternehmen.

Ob die gebeutelten Georgier den Flüchtlingen von jenseits des Kaukausus dann noch Gastrecht gewähren würden, ist mehr als fraglich.

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