: Der Kelch geht an Berlin vorbei
Auch wenn Deutschland ab 2003 Mitglied im Sicherheitsrat ist, muss es wohl nicht über einen Irakkrieg abstimmen. Die Entscheidung wird früher fallen
aus Genf ANDREAS ZUMACH
Ab Januar wird Deutschland einen – auf zwei Jahre begrenzten – Platz im UNO-Sicherheitsrat bekommen. Vor allem vor dem Hintergrund der belasteten Beziehungen zwischen Berlin und Washington führt die kommende deutsche Ratsmitgliedschaft zu zahlreichen Erwartungen und Spekulationen. Das „Vertrauen“, das die Regierung Schröder/Fischer wegen ihrer strikten Ablehnung militärischer Maßnahmen gegen Irak auf der internationalen Bühne angeblich verloren hat, könne sie „im Sicherheitsrat zurückgewinnen“, mutmaßt die Deutsche Presseagentur.
Ex-Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) befürchtet hingegen eine „Isolierung Deutschlands im Sicherheitsrat“ wegen der Irakposition der rot-grünen Koalition. Kriegsgener jedoch hoffen, dass die Bundesregierung genau diese Position ohne Aufweichungen durchhält und im Sicherheitsrat notfalls auch gegen einen Resolutionsantrag der USA stimmt.
In die Verlegenheit eines offenen Konflikts mit den USA im Sicherheitsrat wird Deutschland aber wahrscheinlich gar nicht kommen. Neue Irakresolutionen des Rates, ob mit der von Washington verlangten Ermächtigung für militärische Maßnahmen oder ohne sie, werden längst vor dem 1. Januar verabschiedet sein. Sagt der Sicherheitsrat „No“ zu militärischen Maßnahmen, dürften die USA ohne Rücksicht auf die UNO unilateral handeln.
Zur entscheidenden Nagelprobe für die außenpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands im Sicherheitsrat wird es dennoch kommen und zwar spätestens im Juni nächsten Jahres. Dann werden die USA den Antrag einbringen, die Immunität für an UN-Missionen beteiligte US-Bürger vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bis Mitte 2004 zu verlängern. Die Bush-Administration hatte nach heftigen Kontroversen im Sicherheitsrat und der Drohung, US-Personal aus den UN-Missionen abzuziehen, die Immunität im Juli zunächst einmal für zwölf Monate durchgesetzt.
Bislang hat die Bundesregierung diese Immunitätsregelung ebenso abgelehnt, wie die bilateralen Immunitätsschutzabkommen, die Washington mit 150 Staaten abschließen will. Inbesondere Außenminister Fischer hat die Haltung der rot-grünen Koalition im Bundestagswahlkampf immer wieder bekräftigt. Inzwischen gibt es Hinweise, dass Washington von Berlin eine Aufweichung dieser klaren Haltung einfordert. Als Teil des Preises für die Reparatur der durch das Irakthema beschädigten Beziehungen. Würde die Bundesregierung darauf eingehen – anstatt im Sicherheitsrat mit Frankreich und anderen Gegnern der amerikanischen Immunitätsschutzbestrebungen eine strategische Allianz zu bilden – würde sie weltweit erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßen.
Hohe Erwartungen knüpfen sich auch an den Ratsvorsitz, den Deutschlands neuer UN-Botschafter Günther Pleuger im kommenden Februar für einen Monat übernehmen wird. Doch die formalen Vollmachten des Ratsvorsitzenden sind sehr beschränkt. Er kann – in Abstimmung mit anderen Botschaftern – festlegen, wann in Sitzungen über welche Themen debattiert und abgestimmt wird, und die Öffentlichkeit über Verlauf und Ergebnisse einer Sitzung informieren.
Während jetzt zum Teil überzogene und unrealistische Erwartungen an Deutschlands zweijährige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat gerichtet werden, werden die politischen Möglichkeiten als einfaches Mitglied der Generalversammlung häufig heruntergespielt – vor allem seit den Anschlägen vom 11. September. „Wir können nichts tun, denn Deutschland ist nicht im Sicherheitsrat.“ So lautete in den letzten zwölf Monaten die Standardantwort deutscher Diplomaten und Außenpolitiker auf die Frage, warum sich die Bundesregierung bis zum wahlkampfbedingten Kurswechsel des Kanzlers Ende August nicht aktiv in die Debatte über die internationale Haltung zum Irak eingemischt hatte. Dabei hätte es für das UNO-Mitglied Deutschland auch ohne Sitz im Sicherheitsrat genügend Anlässe gegeben, die aus der UNO-Charta erwachsene Verantwortung wahrzunehmen.
Schon wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte die Bush-Administration eine (bis heute nicht bewiesene) Verbindungslinie zwischen Irak und Ussama Bin Ladens Al-Qaida-Netzwerk gezogen. Gestützt auf diese Behauptung drohte Washington Anfang Oktober in einem eindeutig auf Irak und andere „Schurkenstaaten“ gemünzten offiziellen Schreiben an die UNO mit militärischen Maßnahmen gegen „Staaten und Organisationen, die den Terrorismus unterstützen“.
Bereits diese Drohung von Maßnahmen ohne Mandatierung des Sicherheitsrates war ein klarer Verstoß gegen die UNO-Charta, zu deren aktiver Verteidigung alle Mitgliedsstaaten verpflichtet sind. Seitdem ist Washingtons völkerrechtswidrige Drohpolitk weiter eskaliert: von der Ankündigung vom Februar, künftig notfalls Atomwaffen gegen „Schurkenstaaten“ einzusetzen, über die mehrfachen Präventivschlagdrohungen gegen Irak bis hin zur letzte Woche vorgelegten neuen nationalen Sicherheitsdoktrin. Dort wird ganz offiziell das „Recht“ der USA auf militärische Präventivschläge ohne UNO-Mandat reklamiert.
Zu all dem hat die Bundesregierung bis heute geschwiegen. Auch auf die Verhandlungen der UNO mit Irak über eine Wiederaufnahme der Waffeninspektionen, die Generalsekretär Kofi Annan seit Januar im Auftrag des Sicherheitsrates und im Namen aller UNO-Staaten führt, hätte Deutschland auch ohne Sitz im Sicherheitsrat längst Einfluss nehmen können. Stattdessen ließ die Bundesregierung – wie auch die meisten anderen UNO-Staaten – zu, dass diese Verhandlungen acht Monate lang nach einem von Washington diktierten und auf ein Scheitern angelegten Drehbuch geführt wurden.
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