: Wähle den Plotpoint mit Bedacht
Für 100 Euro kann man am Kurs „Wie schreibe ich eine verdammt gute Geschichte?“ teilnehmen, Sat.1 setzt auf Fantasy im Alltag, doch Mafiaepen will niemand produzieren. Am Samstag ging die viertägige Drehbuch-Fachmesse scriptforum zu Ende
von CHRISTIANE RÖSINGER
Es ist ein Kreuz mit dem Drehbuchschreiben. Einerseits lautet die wichtigste Plattitüde der Branche, es komme nur darauf an, „eine gute Geschichte zu erzählen“, andererseits mangelt es angeblich genau an diesen Geschichten. Junge Autoren lassen ihre Figuren nun gerne einmal Krisen und amouröse Abenteuer in polygamen Beziehungen erleben, bevor sie kreativ, glücklich und total erfolgreich einen Platz im Leben finden. Junge Autorinnen verdichten eben gerne träumerische Kindheitsimpressionen oder verarbeiten die ersten Erniedrigungen der heterosexuellen Beziehung. Beides ist nicht immer spannend.
Nachdem sich in Deutschland die Einsicht durchgesetzt hat, Drehbuchschreiben sei Handwerk und als solches erlernbar, nachdem sich eine Generation von Autoren, Drehbuchwerkstatt-Besuchern und Dramaturgie-Studenten damit abgeplagt hat, Plots zu erfinden, werden heutzutage alle Scripts und Exposés in einwandfreiem Layout abgegeben, steht dem Protagonisten in drei Akten immer der Antagonist gegenüber, sitzt der Plotpoint stets an der richtigen Stelle. Aber etwas fehlt den Figuren und den Geschichten, am Ende bleiben sie kraft- und saftlos. Aus der Lust am Erzählen ist „prozessorientierte Stoffentwicklung“ in „lösungsfokussierter Arbeitsweise“ geworden.
Von Mittwoch bis Samstag fand deshalb das „scriptforum“ in der Johannisstraße in Mitte statt. Auf dieser „Fachmesse für Drehbuch und Scriptentwicklung“ sollte in Workshops, Vorträgen, Vorführungen und Diskussionen dramaturgisches Know-how auf internationalem Niveau vermittelt werden. Wie schon im letzten Jahr haben Therapieformen den Weg ins Drehbuchseminar gefunden. Methoden der Hypnose, das Schreiben aus dem Unbewussten oder die „Systematische Aufstellung“, einst für die Familientherapie entwickelt, sollen helfen, dem Unbewussten Stoffe zu entlocken. In den Workshops konnten die Teilnehmer Methoden kennen lernen, um in selbst induzierter Trance den Stoff in der Treatmentphase schon lebendig werden lassen. Wie wird die Entwicklung weiter verlaufen, fragt sich der besorgte Beobachter. Rolfing, Reiki, Rückführung?
Aber es gibt nicht nur den therapeutischen Weg zum guten Drehbuch. Im Seminar „The Art of Comedy“ erfährt man zum Beispiel, dass Avalanche-Technik, Triggering, Erzählstruktur und Statustheorie die „Mastertools des Genres Comedy“ sind. Der neueste Weg zum guten Drehbuch heißt sowieso „The creative Matrix“ und sieht die Erzählweise als eine Art Matrix, in der vor allem die Wechselwirkungen zwischen Story, Thema, Plot, Genre und Stil eine Schlüsselrolle spielen.
In der Produzenten-Lounge geht es etwas handfester zu. Professor Jürgen Haase und Heike Voßler von der Provobis, einer Produktionsfirma, die große TV-Filme, aber auch die Tatort-Folgen des SFB produziert, sitzen in dem kargen Seminarraum und beantworten Fragen. Computerkriminalität ist out, erfährt man, und die intime Familiengeschichte wird dem Mafiaepos vorgezogen. Einen Tipp für zukünftige Tatort-Schreiber gibt es gratis: Man sollte die Kommissare schon ein bisschen kennen, bevor man das Exposé schreibt.
Bei Sat.1 verrät ein aufgeschlosser Referent im lichtbildgestützten Vortrag, dass die Sat1-Zuschauer total gerne Fantasy-Komödien sehen, aber nur solange diese im Umfeld des Zuschauers angesiedelt sind: also Alltag mit einem kleinen Fantasy-Element, die Hexen aus dem Reihenhaus, liebe Nachbarn, die in Wirklichkeit Engel sind, sprechende Hunde. Wenn eine aufgeschlossene Jungdramaturgin provozierend fragt, warum in Deutschland eine Serie mit offenem Schwanzvergleich immer noch nicht möglich sei, muss in der nächsten Zeit mit vermehrt auftretenden „Sex and the City“-Adaptionen gerechnet werden.
Ruhig geht es zu auf dem scriptforum, kein Gelächter oder Stimmengemurmel erfüllt den lichtdurchfluteten Innenhof. Jeder scheint für sich allein auf der Suche nach dem genialen Plot zu sein. Ernst schreiten dunkel gekleidete Drehbuchautorinnen mit traurigen Gesichtern über die großzügig geschwungene Treppe aus edlen Holzpaneelen, manchmal telefoniert ein grüblerischer Einzelautor leise. Auf der Messe im Erdgeschoss bescheidene Stände, hier werden grüne Äpfel, Kaffee, Mineralwasser und Infomaterial von Hochschulen, Verbänden, Buchverlagen, Development-Agenturen und Veranstaltern angeboten.
Der zweitägige Regie-Crashkurs „Wie mache ich einen richtig guten Film?“ kostet nur 100 Euro, der Drehbuch-Kurs „Wie schreibe ich eine verdammt gute Geschichte?“ ist genauso günstig. „Final Draft“, die professionelle Scriptwriting-Software für 149 Euro, verspricht: „Everyone has a story to tell!“ Davon scheint aber hier niemand, auch nicht die Autoren selbst, so richtig überzeugt zu sein.
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