: Eine Ikone ohne Abschiedsbrief
Heute vor zehn Jahren starben die Grünen-Gründerin Petra Kelly und ihr Lebensgefährte Gert Bastian. Der ehemalige General hatte erst sie, dann sich erschossen – so vermutet man. Der Tod der beiden Grünen-Politiker blieb bis heute ein Rätsel
von HEIDE PLATEN
Tage kann es dauern, manchmal Wochen, bis Nachbarn den nebenan gestorbenen Rentner vermissen, der tot und vergessen in seiner Wohnung liegt, Tage und Wochen. Wie aber kann es sein, dass ein prominentes, ein richtig berühmtes Paar nicht vermisst wird? Fast drei Wochen lang in seinem Reihenhaus im Bonner Stadtteil Tannenbusch liegt? So lange, dass das genaue Todesdatum nicht mehr zu bestimmen ist?
Der 1. Oktober 1992 ist der angenommene Tag, an dem Petra Kelly und ihr Lebensgefährte Gert Bastian starben, der Tag auch, an dem beide zum letzten Mal gesehen wurden. Kelly ist über den Tod hinaus das geblieben, was sie aus sich gemacht hatte: eine Ikone der Friedensbewegung, Gründungsmitglied der Grünen, schmal, zierlich, mit blonden Locken, großen Blauaugen, dunklen Augenringen im schmalen Gesicht, immer in Bewegung bis zur Erschöpfung.
Gert Bastian, der Panzergeneral a. D., der die Waffen zur Seite gelegt hatte und mit ihr gemeinsam für den Frieden stritt, wurde der Böse, der Vollstrecker. Er tötete seine Lebensgefährtin mit einem Pistolenschuss in die linke Schläfe. Es sei, hieß es im Polizeibericht, „die Annahme zulässig“, dass Kelly im Schlaf getötet wurde. Bastian erschoss sich im Flur vor der Schlafzimmertür. Und geriet im Tod – wie zuvor im Leben blass hinter ihr – in Vergessenheit.
Die beiden wurden im Oktober 1992 sicher irgendwann einmal vermisst. Dass sie nicht gesucht wurden, jedenfalls nicht richtig, haben sich viele zum Vorwurf gemacht. Viel unterwegs gewesen seien sie, sagte eine Nachbarin. Engere Kontakte gab es nicht. Bastian und Kelly lebten hermetisch, hatten sich den Grünen entfremdet und jetteten rastlos in Sachen Frieden rund um die Welt. Wer so wenig fassbar ist, ist schwer zu vermissen. Gert Bastian war körperlich angeschlagen, krank und erschöpft. Kelly soll, sagte man hinterher, zwischen Höhenflügen voller neuer Pläne und tiefer Niedergeschlagenheit geschwankt haben. Kelly war von der Parteibasis gnadenlos für ihren Prominentenbonus abgestraft worden. Von der eigenen Partei nicht für die Wahl zum Bundestag nominiert zu werden, das kann für eine, die sich als deren Mutter und Zuchtmeisterin zugleich begreift, den Untergang bedeuten. Beileidsbekundungen würdigen sie posthum für ihre „Unbeugsamkeit“, ihre „Unnachgiebigkeit“ als „Streiterin für Frieden, Menschenrechte und Umweltschutz“.
Die Grünen, sagte ihr Parteifreund Lukas Beckmann in einem Interview, „die Grünen, das war Petra Kelly, das war im Ausland die grüne Partei, bis heute“. Und die, so muss sie es empfunden haben, hatte ihr den Rücken gekehrt. Alte Freunde waren gestorben, hatten einen anderen Lebensweg eingeschlagen. Otto Schily, heute SPD-Bundesinnenminister, hatte die Partei gewechselt und sprach als einer der wenigen aus, was andere in ihrer Betroffenheit nicht sehen konnten. Kelly sei bei den Grünen längst „isoliert“ gewesen. Das alles machte den Freitod der Petra Kelly schlüssig. Aber nicht sie hatte Hand an sich gelegt, sondern ihr Lebensgefährte Bastian tötete erst sie, dann sich selbst. Ob dies mit ihrem Einverständnis geschah, konnte nie geklärt werden. Das gab Mordgerüchten Nahrung.
Als Petra Kelly 1979 die Grünen mit begründete, da hatte die Pionierin, 32 Jahre alt, schon ein ganzes Leben gelebt. Ihre Eltern waren aus dem bayerischen Günzburg in die USA gezogen, als ihre Tochter 12 Jahre alt war. Sie studierte in Washington Politik, ging nach Amsterdam, arbeitete dann für die Europäische Gemeinschaft in Brüssel. Seit dem Tod ihrer zehnjährigen Schwester Grace engagierte sich sich in der Kinder-Krebshilfe. Kelly reist, jettet als Protestlerin gegen die Atomenergie rund um die Welt, Irland, USA, Kalkar in Deutschland, Hiroschima und Nagasaki in Japan, Australien. 1983 wird sie Bundestagsabgeordnete. Sie ist mit Otto Schily und Marieluise Beck Sprecherin der ersten Grünen-Fraktion. Der Bundestag wirkt fast zu eng für sie. Beck erinnerte sich kurz nach Kellys Tod, wie „unglaublich klein und fast verloren“ sie als Rednerin auf dem Podium gewirkt habe, so ganz anders als als An- und Wortführerin bei Großdemonstrationen auf der Straße: „Man hatte das Gefühl, dort im Bundestag kann sie niemanden erreichen, ihre Worte prallen an den grauen Anzügen und an einem fast gleichgültig gewordenen Politikbetrieb ab.“
In den letzten zehn Jahren sind Bücher geschrieben, Filme gedreht, Preise nach Kelly benannt worden. Eine authentische Botschaft, die dem Tod nachträglich einen Sinn geben könnte, werden alle Nachreden nicht vermitteln. Kelly und Bastian haben keinen Abschiedsbrief hinterlassen.
Petra Kelly ist an einem schönen, sonnigen Herbsttag auf einem Friedhof in Süddeutschland neben dem Grab ihrer kleinen Schwester begraben worden. Es wurde viel geweint. Ihr Totenlied war „Amazing Grace“.
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