: Fiktionsraum Kino
Dass das Kino den männlichen Blick bestätige, findet sich in einer oberflächlichen feministischen Perspektive auf Film immer wieder. Wie oft sieht man halb oder gar nicht bekleidete Frauenfiguren, wie oft weibliche Opfer im Horrorfilm, an deren Angst sich der männliche Zuschauer weiden kann, wie oft Ehefrauen, deren Aufopferung für die Familie gepriesen wird? All dies gilt als Indiz dafür, dass der Geist der Emanzipation vor der Filmindustrie Halt gemacht hat.
Das stimmt und stimmt zugleich doch nicht. Denn im Fiktionsraum Kino nehmen die Blicke viele Gestalten an. Sie sind weder einer heterosexuellen Ordnung verpflichtet noch so eindimensional, dass sich die weibliche Zuschauerin nur in einer weiblichen Figur wiederfände, ein männlicher Zuschauer nur in einer männlichen.
Was hatte ich als Teenagerin für eine Freude an Tim Curry, dem Transvestiten aus The Rocky Horror Picture Show! Der nahm sich die Freiheit, mit blauem Lidschatten, in Korsett und Netzstrumpf seinen polymorphen Begierden nachzugeben. Vielleicht war der lüsterne Blick, den er auf die naive Janet (Susan Sarandon) warf, einer, in dem sich meiner spiegeln konnte.
Nun ist es gar nicht so, dass der Männerkörper als Objekt eines weiblichen Blickes nie seinen Platz gehabt hätte im Kino. Man denke nur an Rudolph Valentino, dessen früher Tod im Jahre 1926 eine Hysterie auslöste. Die Filmkritikerin Daniela Sannwald schreibt über ihn: „Valentino kann als erstes und gleichzeitig schon als Paradebeispiel für den Zusammenhang zwischen Sexappeal und der Beherrschung des Raumes gelten.“
Sannwalds Aufsatz findet sich in dem schönen, von Sabine Horst und Constanze Kleis herausgegebenen Buch Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino (Bertz Verlag, Berlin 2002, 352 Seiten, 19,90 Euro), das Texte vornehmlich von Filmkritikerinnen versammelt, die über ihren liebsten Star schreiben oder darüber, dass man männliche Körperteile so viel seltener zu Gesicht bekommt als deren weibliche Entsprechungen.
Hadwiga Fertsch-Röver beschwert sich etwa: „Für den genießerischen Blick auf das weibliche Hinterteil, oft als Kamerafahrt von den Fesseln bis zu den Hüften, gönnt die Regie den Zuschauern meist Einstellungen von zehn bis fünfzehn Sekunden. Für die Würdigung eines hübschen Knackarsches, sagen wir, von Tom Cruise, Brad Pitt oder Michael Douglas, bleiben den Zuschauerinnen nur Augenblicke.“
Und Constanze Kleis beklagt, dass sie im Kino fast nie einen Schwanz sieht: „Nichts als geschlechtslose Kens im Kino, deren merkwürdige Leere zwischen den Schenkeln mit Phallussymbolen in Größe XXL verdeckt wird.“
CRISTINA NORD
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