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Das Ende der Arbeiterwut

1947 war ein Hungerjahr in Hamburg. Der Unmut und die Desillusionierung in der Arbeiterschaft waren groß – auch weil die SPD das Ziel der Sozialisierung von Unternehmen beerdigte

„Wenn Junker regieren, herrscht die Not. Wenn Gewerkschaften führen, gibt es Brot.“

von BERNHARD RÖHL

Vor 55 Jahren hungerte Hamburg. Das Jahr 1947 war geprägt von Nahrungsmangel, Armut und Wohnungsnot. Der Unmut über die Zustände und die Politik, die diese zuließ, wuchs, gerade unter den ArbeiterInnen – trotzdem konsolidierte sich die SPD gleichzeitig als führende politische Kraft in der Stadt. Zum Monatswechsel September/Oktober vor 55 Jahren forderte ein Parteitag der SPD die Vergesellschaftung der Großindustrien der Stadt – bereits gegen den Willen der führenden GenossInnen der Hansestadt. Der Beschluss beruhigte die Stimmung unter den ArbeiterInnen. Umgesetzt wurde er aber nie.

Schon in den Monaten zuvor hatten die Betriebsräte der Hamburger Firmen Alarm geschlagen. Die Lage sei katastrophal, schilderte der Betriebsrat der Firma Axien KG: „Unter oft unerträglichen Verhältnissen bei vier Grad Kälte im Arbeitsraum, mit nur vier Scheiben trockenem Brot für den Arbeitstag haben unsere Betriebsangehörigen ihre Arbeit verrichtet.“ Die Bevölkerung habe keine Zuteilung an Kartoffeln bekommen, für eine Woche seien 1500 Gramm Brot rationiert worden. Seit langem gebe es in Hamburg kein Gemüse mehr, beschrieb er die Situation im Frühjahr. Zuvor hatte ein langer harter Winter das Überleben in der Stadt zusätzlich erschwert. Die Lebensmittel wurden von Schiebern zurückgehalten, nur der Schwarzhandel blühte.

Der Betriebsrat der Philipps Valvo-Werke in Lokstedt erklärte damals: „Vor allen Dingen verlangen wir vom Gewerkschaftsbund die Einsetzung aller Machtmittel, die ihm zu Gebote stehen, um die arbeitende Bevölkerung vor dem Verhungern zu schützen.“ Die Angst vor dem Hungertod zog sich durch das ganze Jahr 1947, im Mai traten die Beschäftigten von Blohm &Voss in einen Sitzstreik. Die Werftarbeiter forderten, „eine Hungerdemonstration auf die Straße zu rufen“.

SPD-Bürgermeister Max Brauer hatte bereits im Frühjahr in einer Senatssitzung warnend festgestellt, „dass die Grenze des Erträglichen in der Bevölkerung erreicht ist“. Dass es noch keine Unruhen in der Stadt gegeben habe, sei allein „dem besonnenen Verhalten der Gewerkschaften“ zu verdanken.

Doch der Druck aus den Betrieben wurde immer stärker und sorgte dafür, dass der Gewerkschaftsbund für den 9. Mai 1947 zu Proteststreiks aufrief. An diesem Tag zogen die Streikenden in Sternmärschen zum Besenbinderhof. An der Spitze marschierten die Werftarbeiter von Blohm &Voss, Transparente mit sich führend mit der Aufschrift: „Wenn Junker regieren, herrscht die Not. Wenn Gewerkschaften führen, gibt es Brot.“ Andere verlangten „Erst satt essen, dann volle Arbeitsleistung.“ Die Beschäftigten der Bavaria-Brauerei schlossen sich dem Protestmarsch an, selbst die ArtistInnen des in Hamburg gastierenden Zirkus Belli ließen ihre Vorstellung ausfallen. Der Asta der Universität erklärte sich ebenfalls solidarisch. Am Ende protestierten gut 200.000 Menschen.

Die Forderung der Gewerkschaften: Hamburg müsse zum Notstandsgebiet erklärt werden. Damit hätte die Stadt den Anspruch erworben, aus anderen Regionen Deutschlands mit Nahrungsmitteln beliefert zu werden. Aber die ArbeiterInnen verlangten noch mehr: Gehortete Lebensmittel sollten unverzüglich der Bevölkerung zugeführt, die Gewerkschaften als Kontrollorgan für die Verteilung eingesetzt werden. Schieber und Schwarzhändler gehörten vor ein Schnellgericht und anschließend in ein Arbeitslager.

Sämtliche Fraktionen der Bürgerschaft unterstützten die Gewerkschaftsforderungen, umgesetzt wurden diese im Laufe der kommenden Wochen allerdings nur teilweise. So erhielt Hamburg zwar den Notstands-Status, und die Gewerkschaften konnten 15 VertreterInnen in die Prüfstellen für die Lebensmittelversorgung entsenden. Sie hatten jedoch keine Befugnis für eigenständige Kontrollen.

„Die schwer wiegende Ernährungskrise hatte zu nachhaltigen öffentlichen Protesten der Arbeiterschaft geführt“, schreibt Michael Wildt in seinem 1986 erschienenen Buch „Der Traum vom Stattwerden“, „zu längeren Arbeitsniederlegungen kam es jedoch nicht. Der Weg der Gewerkschaftsführung, mit einem halbtägigen Streik, einer Kundgebung und markigen Worten den Protest zu kanalisieren, war erfolgreich.“

Die Proteste versandeten im Laufe des Sommers. Der SPD-Parteitag beschloss zwar gegen den Willen der Parteiführung, auf einer Sozialisierung der Wirtschaftsunternehmen zu bestehen, doch dieser Beschluss stand nur auf dem Papier. Der Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, Erich Klabunde, hatte dem Parteitag ein Gutachten vorgelegt, in dem er empfahl, „Industriezweige, die in erheblichem Maße auf dem Weltmarkt tätig werden müssen“, nicht zu vergesellschaften. „Nach diesem Gutachten würde auch die IG Farben nicht sozialisiert werden“, kritisierte der Bürgerschaftsabgeordnete Gerhard Neuenkirch und erhielt dafür massiven Beifall. Mehrheitlich wurden die Empfehlungen des Gutachtens abgelehnt. Was nichts daran änderte, dass sich in der Realpolitik die Linie Klabundes und Brauers durchsetzte.

Als Reaktion darauf gingen viele der Radikaleren in der SPD in die Innere Emigration: „Die Enttäuschung darüber führte zu Desillusionierung und Unzufriedenheit in weiten Teilen der SPD-Mitgliedschaft“, kommentiert der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Holger Christier in seinem Buch „Sozialdemokratie und Kommunismus – die Politik der SPD und KPD in Hamburg 1945-1949“.

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